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Vom Glück geküsst – Whale-Watching in Sanremo


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Bericht von Rüdiger Hengl, Juli 2004

Einmal vom Glück geküsst zu werden … Nur ein einziges Mal! Die einen träumen von ein paar Euro mehr auf dem Konto – Das Spielcasino Sanremo böte ne Chance. Andere träumen von einem Leben in Saus und Braus.

Primavera in San Remo (Foto: Rüdiger Hengl)

Auch das ist in Sanremo möglich. Dritte schließlich träumen von immer währender Gesundheit. Das Klima hier – geradezu ideal. Die Wünsche nach Glück sind so verschieden, wie wir Menschen selbst. Auch ich such mein Glück, aber etwas weiter draußen. Etwa 15 Meilen vor der Küste … aber beginnen wir der Reihe nach:

Ich war schon mehrfach in Ligurien, mal um Badeferien zu machen, mal nur um zu relaxen. Ein anderes Mal war ich dort, um zu wandern, und einmal war ich mit dem Auto dort, um die wunderschönen Dörfer des Hinterlandes zu besuchen. In allen Fällen saß man dann abends an den Flaniermeilen der Blumenriviera, schlürfte einen Cappuccino oder ließ den Tag bei einem Tequila Sunrise Revue passieren … Aber Sanremo bietet mehr:

Wissen Sie, was dort unten ist?

„Sai cosa c’è sotto?“ „Wissen Sie, was dort unten ist?“ Das Plakat des Aquariums Genua, das man überall an der Blumenriviera antrifft, interessiert mich. Deshalb habe ich mir den Text von einer italienischen Bekannten übersetzen lassen. „Nicht weit vom Hafen entfernt existiert eine Welt voller faszinierender Lebewesen. Wale, Delfine, Schwertfische, Mantas und Schildkröten sind nur ein paar der Meeresbewohner, denen man dort begegnen kann.“

Delfine und Wale im Mittelmeer (Foto: Rüdiger Hengl)

Wale im Mittelmeer? Pott- und Finnwale, die zweitgrößten Lebewesen der Erde, im Mittelmeer? Ich trau der Sache nicht so ganz. Vielleicht ein Werbe-Gag? Immerhin sind auf Plakaten von Zirkusvorstellungen auch oft Löwen dargestellt, obwohl in der Vorstellung selbst dann noch nicht mal ein Pferd auftritt. Nun denn, was hinter dem Plakat steckt, davon will ich mir am besten selbst ein Bild machen.

Silvia

Am Montag, 31. Mai 2004, besuche ich das kleine Büro der Riviera Navigazione. Direkt am Porto Vecchio, dem Alten Hafen von Sanremo. Die bieten Whale-Watching an! Von Sanremo aus!! Silvia begrüßt mich freundlich. Sie und meine Frau Susanne (das ist die von den Meeresakrobaten :o) kennen sich schon lange, und ich selbst habe Silvia 2002 kennengelernt, als wir mit Riviera Navigazione einen Schiffsausflug entlang der Küste unternommen haben. Leider haben wir damals weder Wal noch Delfin gesehen.

„Klar sehen wir bei unseren Whale-Watching-Touren immer wieder Wale“, erklärt Silvia. „Susanne hat dir doch sicher davon erzählt.“ Derweil zeigt sie mir Karten, in die alle Sichtungen von 1995 bis heute akribisch eingetragen sind: Art, Ort und Zeit. Delfino Comune, Stenella Striata, Grampo, Tursiope, Balenottera Comune, Capodoglio, Zifio, Tartaruga.

Silvia (Foto: Rüdiger Hengl)

Ja, Susanne hat es mir erzählt. Aber selbst gesehen habe ich Wale noch nie. Derart lange Touren (6 Stunden auf See!) wollte ich auch auch nie mitmachen. Erschien mir alles zu langweilig und zu öde. Wenn ich mich dann tatsächlich mal aufraffen konnte, dann fuhr die DIANA II just an diesem Tage nicht. Entweder war eine Ausfahrt an diesem Tag von vornherein nicht geplant oder aber das Wetter (auf See!) war so schlecht, dass der Kapitän die Ausfahrt aus Sicherheitsgründen absagen musste. Mir erschien das damals immer unverständlich. Vor allem dann, wenn an Land, in Sanremo selbst, strahlender Sonnenschein herrschte.

„Wandertag“ aufs Meer

Heute aber passt alles! Heute hat die DIANA II eine Extra-Ausfahrt auf dem Plan. Mehrere Schulklassen aus der Umgebung machen auf der DIANA II ihren „Wandertag“. Glück für mich, denn normalerweise fährt die DIANA II nur dreimal pro Woche aus. Vermutlich um die Meeresbewohner in ihrem natürlichen Lebensraum nicht allzu sehr zu stören. Andererseits – ich kann mir kaum vorstellen, dass ein 10 Knoten langsames und dazuhin recht geräuscharmes Schiff die Wale und Delfine empfindich stören könnte.

Um 12:45 Uhr bin ich an Bord. „Bis an die Zähne“ mit Kameras bewaffnet. Misstrauisch werde ich von manchen Schülern beäugt, für die so ein „Schulausflug“ eher ne Pflichtübung ist. Außer den Schulklassen sind nur noch wenige andere „Whale-Watcher“ mit an Bord. Die etwa 100 Menschen „verlieren“ sich fast auf der für 300 Personen zugelassenen DIANA II. Pünktlich um 13:00 Uhr macht Roberto von der Crew die Leinen los. Andreino, unser Kapitän, wirft die Motoren an und los geht’s.

Wandertag aufs Meer (Foto: Rüdiger Hengl)

Unser Ziel ist das Meeresschutzgebiet, das sich vor der Ligurischen Küste von Frankreich im Westen bis rüber nach Fosso Chiarone (Toskana) im Osten dreiecksförmig bis zur Nordspitze Sardiniens erstreckt.

Außer uns ist niemand auf See. Kein Boot, kein Schiff. Bis zum Horizont nichts. Das Meer erscheint mir riesig und wir haben leichten Wellengang! Wenn da irgendwo ein Delfin oder Wal sein sollte, und er dann zufälligerweise mal seine Rückenflosse 30 cm aus dem Wasser streckt, dann kann man den doch niemals sehen! Die Wellen sind – selbst bei dieser ruhigen See – doch jetzt schon viel höher als 30 Zentimeter! Whalewatching habe ich mir irgendwie ganz anders vorgestellt. Ich dachte, man fährt raus, guckt sich die Tiere an, fotografiert und fährt wieder nach Hause. Ähnlich wie ich es auf meiner Safari 2002 in Kenya erlebt habe. Doch im Vergleich zum Mittelmeer ist die Serengeti ja fast schon ein Safari-Park. Flach bis zum Horizont und man sieht Elefanten, Giraffen und Löwen schon meilenweit. Klar, das Meer hier ist auch flach, aber die Elefanten, Giraffen und Löwen tauchen nicht unter! Wale, Delfine und die anderen Meeresbewohner dagegen bevorzugen vornehmlich den Bereich unter der Wasseroberfläche. Ich glaube, ich habe mich auf etwas eingelassen, was der Suche der viel zitierten Stecknadel im Heuhaufen entspricht.

Springender Streifendelfin (Foto: Rüdiger Hengl)

Aber so schlimm, wie befürchtet, ist Whale-Watchen gar nicht. Etwa vier Meilen vor Sanremo ist da plötzlich eine ganze Schule Streifendelfine. Sofort reduziert Kapitän Andreino das Tempo. Für Massimo vom Bordpersonal sind Streifendelfine nichts Ungewöhnliches. Ich „Landratte“ aber bin begeistert. Ebenso die italienischen Schüler. Besonders beeindruckend ist, wenn die Delfine bis unters Boot kommen oder (vor Freude?) durch die Luft springen.

Ich bin gefesselt! Nach etwa 5 bis 7 Minuten ziehen die Streifendelfine weiter. Die DIANA II nimmt wieder Fahrt auf. Aber nicht, um der Schule zu folgen, sondern um zu sehen, ob wir nicht vielleicht noch etwas anderes entdecken werden. Wir hatten schließlich lange genug unsere Freude mit den „Meeresakrobaten“. Und man darf nie vergessen: Wir sind zu Gast in deren Lebensraum. Es sind wilde Tiere!

Der Virus hat mich gepackt! Gebannt starre ich aufs Meer und glaube in jeder Welle, jedem Glitzern, einen Delfin zu sehen. Aber da ist nichts. Ich denke, man braucht einige Kenntnisse, um in den Glitzerwellen irgendetwas entdecken zu können. Gut, dass die Besatzung der DIANA II da schon lange Erfahrung hat. Plötzlich Unruhe! Das ist doch die Rückenflosse von irgendwas! Ganz nah am Boot. Wir rätseln, was das sein könnte. Manche tippen auf einen Hai …

Dann die Lösung: Es ist die Rückenflosse eines Mondfisches. Mondfisch??? Davon hatte ich zuvor weder etwas gehört noch jemals so ein Tier gesehen. Bis zu 3 Meter lang und anderthalb Tonnen schwer werden diese ungewöhnlich aussehenden Fische. Nie hätte ich gedacht, dass man so was im Mittelmeer sehen kann, nur 7 ½ Autostunden von Augsburg, da wohnen wir, entfernt. Jetzt hält mich nichts mehr. Jetzt ist alles möglich! Sollten wir wirklich noch einen Großwal zu sehen bekommen?

Mondfisch (Foto: Rüdiger Hengl)

Meeresschildkröte (Foto: Rüdiger Hengl)

Wir fahren weiter. Doch das Glück scheint uns nun zu verlassen. Seit einer Stunde nichts. Absolut nichts. Vom ewigen aufs Meer Starren brennen schon die Augen. Ich muss unbedingt Pause machen. Auch dafür ist die DIANA II bestens gerüstet. Bei Roberto an der Theke hole ich mir einen kleinen Mocca für sofort und eine Flasche Wasser zum Mitnehmen und dann geht’s wieder raus ans Vorderdeck. Die älteren Passagiere (meist aus Deutschland) sind schon wieder „ganz aus dem Häuschen“, den italienischen Schülern dagegen merkt man die „anstrengende“ lange Fahrt schon etwas an.

Eine Mülltüte?

Da schwimmt doch irgendwas Braunes dort drüben! Sieht aus wie eine algen-verschmierte Mülltüte. Es ist eine Schande, was die Menschen so alles ins Meer werfen! Aber nein! Das gibt’s doch nicht! Die „Mülltüte“ hebt den Kopf! Es ist eine Caretta Caretta, eine Meeresschildkröte. Eines dieser seltenen, vom Aussterben bedrohten Tiere zeigt sich direkt neben unserem Whale-Watching-Boot. Ich bin total ergriffen. Es ist ein wirklich überwältigender Moment …

Allmählich senkt sich der Pulsschlag wieder auf normales Tempo. Ich kann mein Glück kaum fassen! Wir haben mehr gesehen, als wir uns wünschen konnten. Frei lebende Delfine, einen Mondfisch, von dessen Existenz ich noch nicht mal wusste, und eine Meeresschildkröte, die für mich fast schon etwas „Mystisches“ hat. Das ist eine Fahrt, die sich gelohnt hat. Warum bloß bin ich nicht schon vor zwei Jahren mitgefahren?

Finnwale

Ein Finnwal taucht auf (Foto: Rüdiger Hengl)

Vier Stunden sind wir inzwischen schon auf See, als Massimo und Vittorio von der Crew der DIANA II plötzlich die Ferngläser hochreißen. Sie haben etwas entdeckt! Kapitän Andreino drosselt sofort den Motor! Und dann wird es Wirklichkeit:

Zwei Finnwale kreuzen unseren Weg! Die Begeisterung kennt nun keine Grenzen mehr! Ich schieße einen kompletten Film durch! Die Menschen an Bord jubeln und „gestandene Männer“ haben Tränen in den Augen. Finnwale im Mittelmeer! Etwa 5 Minuten beobachten wir die Tiere, dann verschwinden sie Richtung Horizont. Ab und an kann man noch den Blas sehen, die kondensierende Atemluft. Dann sind sie endgültig aus unserem Blick verschwunden. Doch das Ereignis hat sich, als Highlight meines Lebens, in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich habe schon viel erlebt und einiges gesehen an Wild-Tieren: Löwen in der Serengeti, Spitzmaulnashörner im Ngoro-Ngoro-Krater, aber nichts hat mich mehr berührt als die Finnwal-Sichtung im Mittelmeer.

Im nächsten Jahr bin ich sicher wieder dort. Oder vielleicht schon dieses Jahr im August. Denn in den Spätsommer-Monaten, so Silvias Aufzeichnungen, wurden vor Sanremo auch schon mehrfach Pottwale beobachtet …

Weitere Informationen zu Whale-Watching-Touren im Ligurischen Meer findest du unter:
Mit Fernglas und Hydrophon auf der Suche nach Walen und Delfinen
Wo und wie kann man an der Riviera Wale und Delfine beobachten?
Whale-Watching auf einem Motorsegler
Delfine und Wale an der Blumenriviera
über das ligurische Hinterland findest du auf folgender Website viele Informationen und Bilder – auch auf Deutsch:
www.cmaa.it

1 Kommentare

  1. Hallo Susanne,
    der Relaunch meines Berichts (jetzt mit den größeren Bildern) ist dir super geglückt! Auch heute noch, fast 8 Jahre danach, kann ich noch jeden Moment in Erinnerung rufen. 
    Grüße
    Rüdiger

    geschrieben von Ruediger

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