(Susanne/ Meeresakrobaten, 14. August 2005)
Sanremo
In diesem Sommer freute ich mich auf eine Whale-Watching-Tour der besonderen Art: Von meinem Lieblingsschiff DIANA II aus würde ich meine Freunde im Ligurischen Meer nicht nur sehen, sondern auch belauschen können. Seit Juli gibt es nämlich ein Hydrophon an Bord. Mit diesem Unterwasser-Mikrofon kann man die Rufe und Klicklaute der Meeressäuger unter der Wasseroberfläche aufnehmen und über einen Lautsprecher an Deck der DIANA II wiedergeben.
Doch zunächst einmal bezog ich am 30. Juli 2005 abends – hundemüde nach einer ca. 14-stündigen Bahnfahrt – mein Quartier in Sanremo. Das „Hotel Sylva“ ist eine alte umgebaute Villa. Sie liegt in einem schönen Garten, aus dem man jeden Morgen mit einem herrlichen Vogelgezwitscher geweckt wird. Wenn man sich auf die Zehenspitzen stellt, kann man vom Garten aus das Meer sehen …
Besuch bei meinen italienischen Freunden
Am nächsten Tag werde ich mit großem Hallo von Silvia, Franco und Andreino im Büro der „Sanremonavigazione“ begrüßt. Leider kann die DIANA II heute nicht ausfahren, da das Meer sehr unruhig ist. Man sieht viele enttäuschte Gesichter von Walfreunden, die zu gern hinaus gefahren wären zu den riesigen Walen und quirligen Delfinen, aber natürlich geht die Sicherheit vor, und so heißt es: „Nächster Versuch am kommenden Dienstag.“
Den Sonntagnachmittag verbringe ich – statt auf der DIANA II – in einem wunderschönen Park, der zur Villa Nobel gehört. Dort schreibe ich an meinem Buch über den Großen Tümmler und denke an die zweitgrößten Tiere der Welt – die Finnwale -, die sich gerade draußen im Meer tummeln. Hoffentlich werde ich bald einen davon zu Gesicht bekommen und seinem Gesang zuhören können …
Spektakel!
Da ich nicht bis Dienstag warten kann, fahre ich bereits am Montag von Imperia aus mit der Corsara aufs Meer. Es hat sich gelohnt! Zwischen 14 und 14:30 Uhr begegnet uns eine große Delfin-Schule. Ungefähr 40 Tiere jagen, springen und surfen in der Bugwelle des Bootes.
Auch ich lasse es mir nicht nehmen und trage mich voller Begeisterung in das ausgelegte Tagebuch der Corsara ein. Obwohl ich am Nachmittag etwas Seekrankheit verspüre, bin ich überglücklich, „meinen“ Delfinen in so großer Zahl begegnet zu sein.
(Tipp: Bei Seekrankheit helfen ein paar Globuli des homöopathischen Mittels Nux Vomica!)
Augen und Ohren auf!
Das nächste spektakuläre Ereignis sollte gleich am nächsten Tag folgen … Zwar sah es am frühen Morgen noch nach Gewitter aus, und es fielen auch ein paar Regentropfen, doch heute ist das Meer ruhig, und einer Ausfahrt mit der DIANA II steht nichts im Wege.
Nachdem wir ca. 5 km aufs Meer gefahren und mit einem leckeren Mittagessen bewirtet worden sind (Roberto kocht nur mit ganz frischen Zutaten), sehen wir gegen 14:15 Uhr ein paar Delfine. Sie bleiben nicht lange in der Nähe des Bootes, da sie offensichtlich Jungtiere dabei haben. Aber gegen 16:00 Uhr kommt dann die große Überraschung! Zwei Finnwale tauchen auf. Es ist eine Mutter mit ihrem Kind. Immer wieder sprüht der Blas in die Luft, dann tauchen die Kolosse für ein paar Minuten ab, bevor sie wieder an einer anderen Stelle erscheinen. An Bord herrscht eine fast andächtige Stimmung. Die Whale-Watcher sind ganz erschlagen von diesem tollen Erlebnis. Schließlich wird noch der Lautsprecher angeschaltet, und nun können wir auch noch die Stimmen der Meeresriesen hören. Einfach super!
Marco, der Techniker an Bord der DIANA II, erklärt mir, dass das mitgeführte Hydrophon noch in der Erprobungsphase sei. Es handle sich um eine neue Konstruktion, die preisgünstiger wäre als die herkömmlichen Unterwasser-Mikrofone. Das Glas, in dem sich das Gerät befindet, ist mit Sand aufgefüllt, damit es schwer genug ist, um in die Tiefe zu sinken. Marco demonstriert mir mithilfe seines Laptops die verschiedenen Klangbilder unterschiedlicher Wal-Arten. Man kann auf dem Bildschirm die Töne „sehen“. Und aus dem Lautsprecher des Computers hallen die Stimmen der Meeressäuger. Da hört man das „Geschwätz“, die Pfiffe und Klicklaute der Streifendelfine (Stenella coeruleoalba), das an eine quietschende Tür erinnernde Stöhnen der Finnwale (Balaenoptera physalus) und die trompetenartigen Laute der Rundkopfdelfine (Grampus griseus).
Terrasse mit gigantischem Ausblick
Am Mittwoch ist es sehr windig, und die Whale-Watching-Boote bleiben im Hafen. Wenn ich also heute nicht aufs Meer kann, dann kann ich immerhin meine Blicke übers Meer schweifen lassen. Und nirgendwo geht das besser als auf meiner Lieblingsterrasse in Cervo.
Auch wenn ich heute keine Wale live gesehen habe, so begegnet mir das zweitgrößte Tier der Welt doch noch. Und zwar in Form eines Artikels in der Tageszeitung „La Stampa“. Dort ist im Ligurien-Teil ein Bild von Marco veröffentlicht, das er am 26. Juli 2005 von der DIANA II aus fotografiert hat.
Giganten im Mittelmeer
Die Finnwale im Ligurischen Meer geben immer noch große Rätsel auf. Man ist sich nicht 100-prozentig sicher, ob es sich um eine Unterart handelt, die sich ständig im Gebiet von Sanremo aufhält, oder ob die Tiere im Winter durch die Meerenge von Gibraltar in wärmere Gewässer abwandern, um im darauf folgenden Frühjahr wieder ins Mittelmeer zurückzukehren. Allerdings hat man herausgefunden, dass sich die im Mittelmeer ansässige Population genetisch von den im Nordatlantik lebenden Tieren unterscheidet. Zwar fahren die Whale-Watching-Boote im Winter nicht aufs Meer hinaus und es gibt daher nur Sichtungs-Aufzeichnungen aus den restlichen drei Jahreszeiten, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich die „Riviera-Finnwale“ das ganze Jahr über im Ligurischen Meer aufhalten, ist äußerst groß.
Etwa 30 bis 40 Kilometer von der Küste entfernt schwimmen die Ozean-Riesen, die außer dem Menschen keine natürlichen Feinde haben. Leider werden sie immer wieder Opfer von Kollisionen mit Frachtschiffen und Tankern, die im Mittelmeer kreuzen. Zum anderen wirkt sich die Abfallbelastung des Mittelmeeres auf die Gesundheit der Meeressäuger aus. Schwermetalle, die über belastete Flüsse in das Mittelmeer gelangen, setzen sich zum Beispiel im Bindegewebe von Walen fest. Sie töten sie nicht sofort, aber senken die Fruchtbarkeit und könnten so zum Aussterben der Art führen.
Walschutz-Gebiet
Von Sardinien, Korsika über die Italienische Riviera bis nach Südfrankreich ist ein dreieckförmiges ca. 100.000 Quadratkilometer großes Schutzgebiet für Wale und Delfine ausgewiesen, in dem nur wal-schonende Fischerei (das heißt ohne Treibnetze) betrieben werden darf und gemäßigter Schiffsverkehr zugelassen ist. Dort bewirkt ein anhaltendes Wetter-Frontensystem die für küstenferne Mittelmeergewässer außergewöhnlich hohe Produktion an pflanzlichem Plankton, von dem sich eine große Masse an Krill-Krebsen (Meganyctiphanes norvegica) ernährt. Und diese Krebse sind wiederum die Hauptnahrung von Finnwalen. Das Nahrungsangebot ist in diesem Gebiet deshalb so groß, weil der Mistral (Mittelmeerwind) ab dem Frühjahr das gesamte Oberflächenwasser des westlichen Mittelmeers nach Südosten „schiebt“. Damit erzeugt er einen Sog und bringt nährstoffreiches Tiefenwasser aus dem 2.000 Meter tiefen Becken hoch.
In diesem Walschutz-Gebiet sind Meeresbiologen auf der Suche nach Informationsmaterial über die Meereskolosse. Die Tiere hinterlassen überall Spuren in Form von Ausscheidungen und Hautfetzen. In den Ausscheidungen findet man zum Beispiel die Augen von Kleinkrebsen. Diese Krebse – auch Krill genannt – gehören (wie bereits oben erwähnt) zur Hauptnahrung des Finnwals. Daneben frisst er auch kleine Fische. Da lebendige Wale über die von ihnen hinterlassenen Spuren sehr viel über ihre Lebensgewohnheiten erzählen, ist es in keiner Weise einsehbar, dass in Japan und Island immer noch Walfang (und damit auch die Tötung von Walen) aus „wissenschaftlichen Gründen“ betrieben wird …
Windhunde der Meere
Der Bestand der Finnwale im Walschutz-Gebiet wird auf 500 bis 1.000 Exemplare geschätzt. Ein Finnwal wird normalerweise zwischen 18 und 21 Meter lang und 50 bis 70 Tonnen schwer. Es soll aber auch Ausnahmen geben, die 27 Meter lang sind und 100 Tonnen wiegen! Der Finnwal gehört zu den schnellsten Großwalen. Er kann auch über längere Distanzen mühelos Geschwindigkeiten von mehr als 35 km/h erreichen. Die Tatsache, dass er damit zu den schnellsten Bartenwalen (er hat keine Zähne, sondern „Barten-Vorhänge“, die beidseitig des Gaumens herabhängen) zählt, brachte ihm bei den alten Walfängern den Beinamen „Windhund der Meere“ ein.
Eine starke Beziehung besteht zwischen Mutter und Kalb während der Säugezeit. Ansonsten ist der Finnwal eher ein Einzelgänger bzw. -schwimmer. Zu einem der markantesten Erkennungsmerkmale gehört die asymmetrische Kopfpigmentierung. Die rechte Kopfseite des Finnwals ist weiß. Die hohe, sichelförmige Finne (Rückenflosse) befindet sich auf der hinteren Körperhälfte. Im Gegensatz zu seinem noch etwas größeren Verwandten – dem Blauwal – hebt der Finnwal zum Abtauchen selten die Fluke (Schwanzflosse) aus dem Wasser. Booten gegenüber zeigt er sich gleichgültig. Er taucht völlig unvorhersehbar auf. Nachts bei ruhiger See kann man manchmal Finnwale beobachten, die sich neben ein Boot legen und dort über eine Stunde lang ausharren.
Waldbrände
Vom Meer oder auch vom Land aus kann man immer wieder große Rauchschwaden sehen. Sie rühren von Waldbränden, die im Sommer an der Italienischen Riviera leider an der Tagesordnung sind. Mehrmals am Tag hört man die Sirenen der Feuerwehrautos. Schon eine kleine achtlos weggeworfene Zigarette kann einen fürchterlichen Brand auslösen. An einem Nachmittag werde ich Zeugin der aufwändigen Löschaktionen aus der Luft. Der Linienbus, mit dem ich von Cervo aus nach Sanremo unterwegs bin (eine Strecke von ca. 50 Kilometern), wird plötzlich von der Polizei gestoppt, weil ein Teil seiner Route in Brand steht. Während ich zwei Stunden lang im stehenden Bus abwaren muss, mache ich folgende Aufnahmen durchs Busfenster.
Abschied
Den letzten Urlaubstag in Italien verbringe ich noch einmal auf dem Meer. Genauso voll wie das Boot (ca. 100 Gäste) scheint heute das Meer zu sein, denn insgesamt sehen wir vier verschiedene Delfin-Schulen. Drei Gruppen bestehen aus Müttern und Neugeborenen. Die Tiere halten einen großen Sicherheitsabstand zum Boot ein. In der vierten Gruppe dagegen herrschen offenbar keine Berührungsängste. Aus ihr sprüht die pure Lebensfreude. Das Meer brodelt von flitzenden und springenden Streifendelfinen, die mit ihrer markanten Zeichnung wie Flammen aussehen. Abgerundet wird der Tag mit einem typisch italienischen Essen (Grillplatte mit verschiedenen Fischarten, Tintenfisch und Garnelen), das ich zusammen mit Silvia auf der Hafen-Terrasse eines Restaurants genieße. Hmmmm, wie das duftet und wie das schmeckt! Schade, dass der Urlaub schon wieder vorbei ist, aber ich freue mich bereits auf nächstes Jahr – da gibt es bestimmt wieder jede Menge Erlebnisse für alle Sinne …