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Glattschweinswale im Jangtse


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Ein Bericht von Dorothee Jokiel, 17. Dezember 2007

Wale im Jangtse?

Die Drei Schluchten kennen viele. Dass man in Chinas mächtigem Strom auch kleine Süßwasser-Wale sehen kann, ist weniger bekannt. Wale im Jangtse? Stimmt genau. Die Rede ist vom Jangtse-Glattschweinswal. Glattschweinswale, auch indische Schweinswale genannt, sind in indo-pazifischen Küstengewässern von Iran bis Japan verbreitet. Der Jangtse-Glattschweinswal ist eine einzigartige Unterart. Er hat sich an das Leben im Süßwasser angepasst und kommt ausschließlich im Jangtse vor. Genauer gesagt auf einer Länge von 1.700 Kilometern vom Gezhou-Staudamm bis zur Mündung ins Ostchinesische Meer nahe Shanghai. Die Tiere sind kaum 1,60 m lang, haben schlanke Brustflossen und eine sichelförmige Fluke. Charakteristisch ist das Fehlen der Rückenflosse, daher stammt der Name Glattschweinswal.

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Bis vor einem Jahr wusste niemand, wie viele Exemplare es aktuell gibt. Das sollte die internationale „Yangtze Freshwater Dolphin Expedition 2006“ im Winter letzten Jahres herausfinden. Meinen ersten Glattschweinswal habe ich im Delfinarium in Wuhan/China gesehen. Kleine neugierige Tiere drückten sich an die Unterwasserscheibe, um auch keinen Besucher zu verpassen: grau, winzige Augen, ein Mund, der verschmitzt zu lächeln scheint. Ich bewege die Hand, das Tier bewegt die Flosse. Ich gehe zur Seite, das Tier folgt mir. Dieses Spiel scheint nicht langweilig zu werden. Ich trete einen Schritt zurück, um die Wale sich selbst zu überlassen. Es sind fünf, eines wurde im Frühjahr geboren, es ist noch nicht ausgewachsen. Die Bewegungen der Tiere erscheinen mir schnell und wendig. Sie gleiten durchs Wasser, schlagen Purzelbäume und drehen auf der Stelle, um später fast regungslos zu verharren. Nach einigen Minuten habe ich ein ganzes Bewegungsrepertoire beobachtet. Soziale Kontakte sind häufig, immer wieder schwimmen die Tiere gemeinsam, streifen und schupsen sich sachte, das Kalb weicht der Mutter nicht von der Seite. Eines der Männchen geht seinem Fortpflanzungstrieb nach. „Das ist der Vater“, erklärt ein chinesischer Wissenschaftler neben mir und holt mich damit in die Realität zurück.

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Expedition auf dem Jangtse

Es sollte nicht mein einziger Glattschweinswal bleiben. Im November 2006 waren alle Expeditionsteilnehmer bereit, den Bestand der Flussdelfine und Glattschweinswale im Jangtse aufzunehmen. Wie zählt man Wale, die keine Rückenflosse haben, nur alle 30 bis 90 Sekunden kurz zum Luftholen auftauchen und annähernd die Farbe des naturtrüben Flusses haben? Zudem wusste ich seit meinem Besuch im Delfinarium, dass Sprünge aus dem Wasser bei dieser Spezies eher eine Seltenheit sind. Dazu sah der Expeditionsplan eine Mischung aus visueller und akustischer Beobachtung vor. Zwei Boote, die nahe am Ufer fahren, Spezialisten, die mit Feldstechern und Unterwassermikrofonen den Fluss scannen und Wasserproben nehmen. Der Alltag an Bord war akribisch geplant, meine Position im Beobachtungsteam auf die Minute genau festgelegt.

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Der erste Anblick ist unvergesslich

Der Jangtse, drittlängster Fluss der Erde, ist sehr schlammreich und fließt mit 4-5 km/h zäh durchs zentralchinesische Inland. Sichtbare Strömung gibt es am Mittel- und Unterlauf kaum. Je nach Windstärke hat man eine spiegelglatte bis aufgepeitschte Wasserfläche vor sich. Das nächste Ufer liegt mindestens drei Kilometer entfernt und ist bei Nebel kaum auszumachen. Eine schier unendliche Weite, wenn man aus heimischen Gefilden den Vater Rhein gewohnt ist. Da heißt es suchen, stundenlang. Nun ja, ich war auch nicht zum Vergnügen hier.

„Glattschweinswale bei 30 Grad, 270 Meter voraus.“ Der erste Anblick ist unvergesslich. Direkt in der Bugwelle eines Bootes! Ich erschrecke und fürchte um das Leben der beiden Wale. Dann Erleichterung und Staunen: Im Fluss ist die rollende Bewegung der Tiere weitaus anmutiger als im Delfinarium. Sie tauchen einige Male an der gleichen Stelle auf, wenig später kann ich sogar ihr Atmen hören. Viel Zeit bleibt mir nicht, um das Schauspiel zu bewundern. Schon kommt die Frage vom Teamkollegen, der die Daten sichern muss „wie weit entfernt vom Ufer, wie viele, in welche Richtung bewegen sie sich? Vielleicht ein Kalb dabei?“ Mir fällt wieder das Formular ein, eine lange Liste, die ich schnell im Kopf durchgehe, bevor ich antworte. Danach ein guter Rat vom Expeditionsleiter: „Erinnere dich an dieses Bild, wenn du stundenlang nichts findest“ und weiter geht’s. An guten Tagen haben wir Gruppen von 12 Tieren gesehen. An schlechten Tagen half der gute Rat, das chinesische Essen an Bord und die Gesellschaft der Wissenschaftler aus China, Japan, den USA, der Schweiz und England.

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Der Bestand ist gefährdet

50 Tage Beobachtung an Bord und 3.300 km später, das gesamte Habitat zweimal durchfahren, war das Ergebnis ernüchternd: keinen einzigen Flussdelfin Baiji gesichtet, und nur noch halb so viele Glattschweinswale wie vor 10 Jahren. Die Ursachen für den Rückgang sind zahlreich. Allesamt menschliche Aktivitäten am und im Fluss, die das Ökosystem verändern. Direkte Jagd auf die Tiere gibt es dagegen nicht („das Fleisch ist zu ölig und schmeckt nicht“). Eine Expedition ist vorüber, jetzt beginnt die eigentliche Arbeit: Analyse und neue Pläne für den Jangtse und seine Bewohner.

Ein Jahr später wissen wir: Die Wasserqualität ist besser als die des Rheins vor 30 Jahren, wenn man die Schwermetallbelastung betrachtet; so ein erstes Ergebnis der Wasserproben. Unerwartet gut, aber kein Grund zum Aufatmen. Die Analyse der visuellen Beobachtung nach der Line-Transect-Methode hat ergeben, dass es heute etwa 1.100 Glattschweinswale gibt. Vergleicht man die Unfallgefahren im Fluss mit der Geburtenrate, kommt man schnell zu einem Rückgang der Population: der Bestand ist gefährdet.

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Glattschweinswale im Jangtse zu beobachten war eine unbeschreibliche Erfahrung. Sicherlich kennen viele dieses Gefühl von eigenen Wal- und Tierbeobachtungen zu Hause. Der Jangtse ist weit weg, die Themen Süßwasser, Ökosysteme und Tierforschung aber immer aktuell und sehr spannend. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere und ersetzt den Spruch „in China, da essen sie Hunde“ durch „ach ja, da gibt’s doch Glattschweinswale“?

Zur Autorin: Dorothee Jokiel ist Diplom-Regionalwissenschaftlerin Ostasien/China, Projekt-Koordinatorin und Visuelle Beobachterin der „Yangtze Freshwater Dolphin Expedition 2006“

Nachtrag der Meeresakrobaten

Die Jangtse-Glattschweinswale sind einer weiteren Gefahr ausgesetzt. Wie am 15. Dezember 2007 in der Presse zu lesen war, droht ein sinkendes Schiff den Jangtse zu verseuchen. Es hatte 130 Tonnen giftige Industriechemikalien an Bord. Der Tank mit dem ätzenden Soda blieb bis zum Wochenende zwar noch dicht, es gibt aber die Befürchtung, dass es ausläuft. Das halbe Schiff steht bereits unter Wasser, erklärten die Behörden der Provinz Hubei. Die Rettungsarbeiten wurden durch Nebel behindert.

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