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Wildfänge in deutschen Delfinarien?


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Meeresakrobaten/17. März 2008

Hat die Forderung „Einfuhrverbot für Wildfänge nach Deutschland“, die einige „Delfinschutz-Experten“ sowie Zoohaltungsgegner an die Bundesregierung stellen, im Jahr 2008 überhaupt noch eine Rechtfertigung? Meine Recherchen zu diesem Thema haben folgendes Ergebnis gebracht:

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Wann und wie alles begann …

Wildfang-Importe gab es tatsächlich einmal. So wie alle in menschlicher Obhut gehaltenen Wildtiere auf Wildfänge zurückgehen. Bei den Delfinen hatte alles 1965 begonnen, als vier Große Tümmler von Florida/USA nach Duisburg – ins erste Delfinarium Deutschlands – gebracht wurden. In Nürnberg hielten die ersten Wildfänge sechs Jahre später ihren Einzug. (In den USA werden Große Tümmler bereits seit 1938 in Delfinarien gehalten.)

Als die Delfin-Haltung noch in den Anfängen stand, gab es relativ viele Todesfälle unter den Tieren, was bedeutete, dass immer wieder ein „neuer Delfin“ – meist aus Kuba oder Florida – importiert werden musste. Inzwischen hat man dazugelernt – wie allgemein in der Zootier-Haltung.

So verzichtet Duisburg zum Beispiel ganz auf Chlor im Wasser. Außerdem werden dort Mutter und Kind von der übrigen Delfin-Gruppe so lange getrennt gehalten, bis das Immunsystem des Delfin-Babys stabil genug ist. Erst dann werden die beiden zu den anderen Tieren gelassen. So wurde auch bei Dolly und Donna verfahren, die beide im Spätsommer 2007 auf die Welt kamen.

Die Überlebenschance neugeborener Delfine ist nicht sehr hoch – auch in freier Wildbahn nicht. Vor allem Erstgeburten sind gefährdet, denn ihre Mutter ist noch zu unerfahren, um das Jungtier optimal aufzuziehen.

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In deutschen Delfinarien gehaltene Große Tümmler werden mittlerweile sehr alt. So zählt Moby aus Nürnberg mit seinen fast 50 Jahren zu den Senioren in Europa.
(Nachtrag Mai 2019: Moby ist am 16. September 2018 im Alter von 58 Jahren gestorben.)

Vereinzelte Importe

Auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland bei den Delfin-Nachzuchten immer mehr Erfolge einstellten, gab es ganz vereinzelt noch Importe von Großen Tümmlern aus außereuropäischen Ländern. So hat das Bundesamt für Naturschutz in den Jahren 1991 bis 2000 Einfuhrgenehmigungen für insgesamt 6 Exemplare der Art Tursiops truncatus (Großer Tümmler) erteilt; davon waren 4 Tiere für wissenschaftliche Zwecke nur vorübergehend in Deutschland.

Bevor ein Delfin zu wissenschaftlichen oder Zucht-Zwecken nach Deutschland eingeführt werden darf, müssen sämtliche Auflagen folgender Tierschutzdekrete erfüllt sein:

1. die Bestimmungen des Washingtoner Artenschutz-Übereinkommens,
2. die Bestimmungen des Naturschutzrechtes des Bundes und der Länder,
3. gegebenenfalls gesonderte zoorechtliche Vorschriften der Länder bzw. tierschutzrechtliche Vorschriften.
4. Im Falle des Transports von Delfinen nach Deutschland gelten die IATA Live Animals Regulations (Regelung der „International Air Transport Association“ zum Lufttransport von lebenden Tieren).
(Quelle: Deutscher Bundestag, Drucksache 16/1378, Veröffentlichung vom 5. Mai 2006)

Erfolgreiche Nachzuchten

Mittlerweile gibt es in Europa Nachzuchten in zweiter (in den USA sogar in dritter) Generation, sodass nur noch ganz selten auf ehemalige Wildfänge, die in außereuropäischen Zoos leben, zurückgegriffen werden muss.

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Im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EEP) wird der Nachwuchs, der in Tiergärten geboren wurde, zwischen den Zoos ausgetauscht. Laut Aussage des EEP hat sich die Situation in Bezug auf Nachzuchten in den letzten 16 Jahren stark verbessert.

1998 setzte sich die europäische Delfinariums-Population noch zu zwei Dritteln aus Wildtieren und einem Drittel Nachzuchten (erste Generation) zusammen. Derzeit halten sich Wildtiere und Nachzuchten etwa die Waage, wobei die Mehrzahl der Nachzuchten bislang allerdings noch nicht in zweiter Generation erfolgt.

Immerhin sind 4 der 6 im Ruhrpotter Zoo lebenden Großen Tümmler reine Duisburger! Bei Dolly handelt es sich sogar um eine Nachzucht in zweiter Generation. Ihre Mutter Delphi wurde 1992 in Duisburg geboren.

(Nachtrag April 2012: Mittlerweile gibt es in Duisburg 9 Große Tümmler. 7 davon wurden im Zoo geboren …) 

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Nürnberg

Und wie sieht es in Nürnberg aus? Laut Herrn Dr. Mägdefrau – stellvertretender Zooleiter – existiert in Nürnberg seit Jahren ein Stadtratsbeschluss, dass der Tiergarten keine Wildfänge in Auftrag gibt. Dafür würde der Zoo auch keine Einfuhrgenehmigung erhalten, wie Dr. Mägdefrau den Meeresakrobaten auf Anfrage mitteilte. Die Genehmigungsbehörden würden auch keinen Umweg über andere Delfinarien zulassen.

Ein Austausch im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (siehe oben) kann aber auch einmal einen seit Jahren oder Jahrzehnten in Delfinarien lebenden Wildfang betreffen. Die Nürnberger Delfine sind Große Tümmler aus der Karibik oder sind bereits in Nürnberg bzw. Soltau geboren.

Letzter Wildfang liegt lange zurück

Der letzte Wildfang wurde vor ca. 17 Jahren nach Nürnberg gebracht. Auch wenn sich Nürnberg nicht rühmen kann, das größte und modernste Delfinarium Deutschlands zu betreiben (diese Attribute treffen derzeit auf Duisburg zu), bedeutet die in Planung befindliche Delfin-Lagune einen großer Fortschritt in der Haltung der Meeressäuger.

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1.100 qm groß wird der Raum sein (das ist über dreimal so viel wie die bisherige Anlage hat), der den acht in Nürnberg lebenden Großen Tümmler ab 2011 zur Verfügung stehen wird. Außerdem werden die Meeressäuger von da an den natürlichen Tagesrhythmus erleben und das Wetter spüren können.

Fazit

Liebe „Delfinschutz-Experten“ und Zoohaltungsgegner, eure Forderung „Einfuhrverbot für Wildfänge nach Deutschland“ ist – nach meinen Recherchen – gegenstandslos. Es wäre schön, wenn ihr euer besorgtes Augenmerk auf die Delfine richten würdet, die von Menschen gequält und getötet werden. Dazu gibt es jede Menge Beispiele hier auf dieser Website …

Zum Weiterlesen

* Unter den Delfinen
* „Nürnberger Tiergarten nimmt Stellung zur Delfinhaltung“
* „Delfine in Deutschland“
* Kritischer Kommentar zu Andreas Morloks Aktion „Delfinbefreiung“
* „Ein Tag im Dolfiarium Harderwijk“

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