Susanne/Meeresakrobaten/17. Mai 2009
Viele Millionen Menschen fahren jedes Jahr aufs Meer, ausschließlich um Wale und Delfine zu sehen. Den Fotoapparat immer funktionsbereit, hoffen sie darauf, das Motiv in den Kasten zu bekommen.
Aber nicht nur Urlauber richten das Objektiv auf auftauchende Rückenflossen oder abtauchende Schwanzflossen, auch Meeresbiologen sowie Delfin-Forscher greifen zur Kamera. Die entstandenen Bilder werden allerdings nicht in Fotoalben geklebt, sondern in einer Art „Steckbriefordner“ im Computer archiviert. Sie dienen dazu, einzelne Tiere an markanten Flossen-Kerben oder Narben wiederzuerkennen und ihre Gewohnheiten zu beobachten.
Sanfte oder nicht-invasive (was „nicht-eingreifend“ bedeutet) Forschung wird dieses Vorgehen genannt.
Eine andere Form der Freilandstudie ist die invasive Forschung. Hierbei wird mitunter beträchtlich in den Lebensraum und in den natürlichen Verhaltensablauf der Delfine oder Wale eingegriffen. Japanische Forscher gehen sogar so weit, Wale zu töten, um herauszufinden, was und wie viel die Tiere fressen … Derart „wissenschaftliches“ Arbeiten möchte ich hier außen vor lassen, da wir uns bestimmt alle (außer die japanische Walfangindustrie) einig sind, dass es so einer Forschung nicht bedarf. Aber wie sieht es mit anderen Methoden aus, die auch nicht gerade zum Wohle der Tiere sind? Im Folgenden eine kleine Zusammenstellung invasiver und nicht-invasiver Vorgehensweisen.
Beispiele für invasive Methoden
Biopsie
Bei dieser Methode werden Spezialpfeile, die mit einer Hohlspitze und einem Rückprallkörper versehen sind, mithilfe einer Armbrust auf einen Delfin (oder Wal) abgeschossen. Auf diese Weise werden Hautproben entnommen, die Aufschluss über den Ernährungszustand des Tieres geben sowie genetisches Material liefern.
Vorteil: Forscher kommen relativ schnell an ein Ergebnis.
Nachteile:
– Die Delfine/Wale müssen zunächst gejagt werden, damit das Forschungsboot relativ nah an sie herankommen kann;
– Der beschossene Delfin kann verletzt werden und Schmerzen erleiden, da die Haut der Delfine sehr sensibel ist;
– Die Tiere reagieren unterschiedlich auf den Beschuss mit dem Pfeil. Der Diplombiologe Fabian Ritter schreibt in seinem Buch „Wale erforschen“, dass es einen Bericht über einen beschossenen Delfin gäbe, der kurz nach dem Beschuss starb.
Anbringen von Sendern
Der an der Finne (Rückenflosse) der Delfine angebrachte Sender misst z.B. die Tauchtiefe des Tieres und die Temperatur des Wassers. Die Daten werden entweder gespeichert oder an Bord eines Schiffes bzw. an einen Satelliten gesendet. Beim Anbringen des Senders wird unterschiedlich vorgegangen:
– Schraubmethode: In die Finne des Delfins wird ein Loch gebohrt. Dort hinein wird der Sender geschraubt. Die Rückenflosse der Delfine ist zwar knorpelig und damit sehr robust, doch die Haut ist mit vielen Nerven versehen und somit äußerst schmerzempfindlich (siehe oben).
– Pfeilmethode: Mit einem Gewehr, einer Armbrust oder Pfeil und Bogen wird der Sender „angeschossen“. Die Spitze des Pfeils, an dem der Sender angebracht ist, verbohrt sich in der Haut und dem darunter liegenden Fett des Delfins.
– Saugnapfmethode: Es wird sehr nah an den Delfin herangefahren. Die Forscher bringen dann einen Saugnapf mit dem Sender am Tier an. Mit dem Saugnapf kann auch eine Kamera am Körper des Wales oder Delfins befestigt werden. Die Kamera nimmt dann auf, wo und wie lange der Meeressäuger taucht, was er unter Wasser macht und wie er mit seinen Artgenossen kommuniziert. Diese Kamera nennt man Crittercam.
Vorteil: Die Forscher kommen relativ schnell zu einem Ergebnis.
Nachteile:
– Die Verfolgungsjagd bedeutet Stress für die Tiere;
– Der Delfin legt mit dem Sender am Körper kein typisches Verhalten (zum Beispiel Tauchtiefe) an den Tag, weil er sich in einer gestörten und beängstigenden Situation befindet; die Folge sind verfälschte Daten, die nur bedingt verwendet werden können;
– Der Delfin kann Schmerzen in der Haut empfinden;
– Der Saugnapf hält nicht sehr lange an der Haut des Delfins. Es gibt nur wenige aufschlussreiche Daten.
Sandpapier-Methode
Mit an einer langen Stange befestigtem Sandpapier wird über die Haut des Delfins gestrichen. Auf diese Weise werden Hautproben entnommen, die Aufschluss über das Geschlecht und eventuelle Krankheiten geben können.
Vorteil: Kein Beschuss nötig.
Nachteil: Der Delfin verspürt eventuell Schmerzen, da seine Haut sehr empfindlich ist.
Entnahme der Tiere
Einige Forscher fangen Tiere vorübergehend mit Netzen ein, um physiologische Untersuchungen (zum Beispiel Blutentnahme, Vermessungen) durchzuführen oder um sie mit Sendern zu bestücken.
Vorteil: Sie kommen schnell zu einem Ergebnis.
Nachteil: Die Tiere können traumatisiert werden, da der Fang mit dem Netz und das Festhalten höchstwahrscheinlich großen Stress auslöst.
In den USA müssen invasive Methoden übrigens beantragt und per Lizenz genehmigt werden.
Auch wenn man davon ausgehen kann, dass jede Annäherung an einen Wal oder an eine Delfinschule Stress für die Tiere bedeutet, gibt es trotzdem Forschungsmethoden, die mit nur geringen Eingriffen in den Lebensraum der Meeressäuger auskommen. Je größer der Abstand zwischen Forscher und Tier, desto geringer wird die Störung des natürlichen Verhaltens sein.
Beispiele für nicht-invasive („sanfte“) Methoden
Beobachtung von Land aus
Mithilfe von Fernglas oder Fernrohr lassen sich von einem erhöhten Standpunkt aus vor allem große Wale gut beobachten. Dabei kann beispielsweise eine mögliche Verhaltensänderung der Tiere erforscht werden, wenn sich Boote nähern.
Vorteil: Die Tiere zeigen ihr natürliches Verhalten.
Nachteile:
– Einzelne Tiere sind nur schwer zu erkennen;
– Es ist nur das Verhalten an der Oberfläche erforschbar;
– Diese Forschungsmethode benötigt viel Zeit und Geduld.
Foto-Identifikation
Diese Forschungsmethode zählt zwar zu den nicht-invasiven Methoden, weil dabei kein Tier verletzt wird, doch da sich der Forscher im Lebensraum seines Forschungsobjekts aufhält, stellt auch er einen Störfaktor dar.
Vorteil: Merkmale einzelner Tiere können erfasst und ausgewertet werden.
Nachteil: Lärmbeeinträchtigung durch Motorboot.
Sammeln von Hautstücken und Kot
An der Wasseroberfläche treibende Hautstücke oder Kot werden vom Boot aus eingesammelt. Sie werden für verschiedene Untersuchungen verwendet und erlauben vielfältige Aussagen, z.B. zum Geschlecht des Individuums, der Sozialstruktur einer Gruppe, den Ernährungsgewohnheiten oder der Belastung der Gewebe mit Schadstoffen.
Vorteil: Keine Beeinträchtigung der Tiere.
Nachteile:
– Mühseliges Suchen und Aufsammeln;
– Zunächst keine Klarheit darüber, von welcher Wal- oder Delfinart die Rückstände stammen.
Whale Watching
Durch reines Beobachten von einem Boot oder Schiff aus können Langzeitstudien durchgeführt werden.
Vorteil: Vorkommen und Verbreitung bestimmter Walarten in einem abgegrenzten Gebiet können gut erfasst werden.
Nachteile:
– Verhalten der Tiere wird durch die Präsenz der Boote beeinflusst;
– Mangelnde Genauigkeit und Qualität der Daten.
Untersuchungen am toten Tier
Bei gestrandeten Delfinen und Walen sowie auf dem Wasser treibenden toten Tieren kann die Todesursache bzw. eine zum Tod geführte Krankheit durch eine Autopsie herausgefunden werden.
Vorteil: Der Forscher hat relativ viel Zeit, um an wertvolle Erkenntnisse zu kommen.
Nachteil: Das tote Gewebe hat sich verändert. Manche Untersuchungen können nicht mehr durchgeführt werden.
Was die verschiedenen Methoden der Forschung angeht, möchte ich zum Schluss Fabian Ritter zitieren, der „eine Erforschung der Erforschung“ fordert. Sie stellt seiner Ansicht nach „ein hilfreiches Mittel dar, um das gute Ansehen der Biologie in Bezug auf kritische Methoden zu stärken. Wissenschaftler und Hobbyforscher sollten stets zwischen dem Schaden für einzelne Tiere und dem Nutzen für eine ganze Population (oder Art) abwägen. Nur wenn der zu erwartende Vorteil im Sinne des Schutzes der Tiere überwiegt, sollten invasive Methoden zum Einsatz kommen.“
(Quelle: Fabian Ritter, „Wale erforschen“, Outdoor-Handbuch, Conrad Stein Verlag)