Wie bereits an anderer Stelle veröffentlicht, habe ich am 17. März 2013 in Nürnberg die EAAM-Tagung besucht.
Bei der European Association for Aquatic Mammels handelt es sich um einen Zusammenschluss von Meeresbiologen und Delfin-Experten aus Europa, den USA und anderen Teilen der Welt. Diese treffen sich einmal im Jahr, um sich über die neusten Forschungsergebnisse in Bezug auf Meeressäuger auszutauschen.
Insgesamt habe ich 10 Vorträge angehört. Das „Hören“ stand auch im Mittelpunkt der Tagung am 17. März, nämlich das Hörvermögen von Robben, Delfinen und Schweinswalen.
Obwohl alle Vorträge sehr interessant waren, möchte ich hier besonders das Referat von Dr. Paul E. Nachtigall vom Marine Mammal Research Program (Hawaii Institute of Marine Biology) erwähnen. Sein Thema lautete: „False killer whales reduce their hearing sensitivity if a loud sound is preceded by a warning“, was frei übersetzt so viel bedeutet wie „Kleine Schwertwale verringern ihre Hör-Sensibilität, sobald sie vor einem lauten Geräusch gewarnt werden“.
Aktuelle Forschungen im Duisburger Delfinarium
Bevor ich näher auf die Ausführungen von Dr. Nachtigall eingehen werde, möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass auch immer wieder deutsche Delfinarien in internationale Forschungsprojekte eingebunden werden. Ganz aktuell das Delfinarium in Duisburg, wo 2012/2013 von Dr. Vincent M. Janik (University of St. Andrews in Schottland) Untersuchungen zur Kommunikation der Großen Tümmler durchgeführt wurden. Siehe dazu auch Delfine kopieren Pfiffe ihrer Artgenossen sowie Identifying Signature Whistles.
Delfine regulieren ihre Hör-Sensibilität
Nun aber zurück zu Dr. Nachtigalls Vortrag. Dr. Nachtigall und sein Team haben herausgefunden, dass Kleine Schwertwale (sie zählen ebenfalls wie beispielsweise die Großen Tümmler zu den Delfinen) die Empfindlichkeit ihres Gehörs an die jeweilige Schallquelle anpassen können. Das heißt: Sie können ihre Hör-Sensibilität herabsetzen und damit ihr Hör-Organ vor allzu großem Lärm schützen.
Kleine Schwertwale und andere Delfine orientieren sich unter Wasser mithilfe von Sozial- und Echolot-Klicks. Die Echolot-Klicks sind hochfrequente und kurze klickende Töne, die Sozial-Klicks sind eher Pfeiflaute mit bestimmten Tonfolgen.
Die hochfrequenten Echolot-Klicks werden von den Tieren ausgesandt und von einem Beutetier oder einem Gegenstand im Wasser reflektiert. Die ausgesandten Töne können eine Lautstärke von bis zu 230 Dezibel (dB) erreichen.
Laut Dr. Nachtigall kommen die reflektierten Klicks im Hörzentrum der Kleinen Zahnwale zwar abgeschwächt, aber immer noch recht laut an, was zur Schädigung des Gehörs führen könnte.
Wir halten uns die Ohren zu, wenn es laut wird, doch was machen die Delfine? Dazu muss man zunächst mal wissen, dass Delfine ganz anders hören als wir. Ihre Köpfe sind wahre Labyrinthe, die aus Resonanzräumen und akustischen Linsen bestehen. Wie Delfine hören, habe ich ausführlich in der Rubrik Anatomie der Delfine ausgeführt.
Irgendwie schaffen Delfine es, ihr Gehör der Lautstärke anzupassen. Das hat Dr. Nachtigall untersucht.
Untersuchung in Forschungseinrichtung
Für seine Untersuchungen hatte er Kleine Schwertwale in einer Forschungseinrichtung in Oahu (Hawaii) zunächst an das Tragen von Saugnäpfen gewöhnt. An diesen Saugnäpfen befanden sich Elektroden, die auf einem Monitor die Gehirnströme (ähnlich wie bei uns ein EEG) der Delfine übertrugen, sobald sie mit einem Geräusch konfrontiert wurden.
Gehirnströme wurden sowohl bei den eigenen ausgesandten als auch bei den reflektierten Echolot-Klicks gemessen. Waren die eintreffenden Klicks zu laut, setzten die Kleinen Schwertwale die Sensibilität ihres Hörvermögens herab.
Die Frage war nun, ob die Delfine diese Hör-Sensibilität auch bei von außen kommenden Störquellen herabsetzen können. Dazu konditionierten die Forscher einen Kleinen Schwertwal namens Kina auf Geräusche.
Sie spielten zunächst immer wieder einen angenehmen Ton ab. Dann kombinierten sie diesen angenehmen Ton mit einem lauten Geräusch. Bereits nach wenigen Versuchen setzte Kina die Sensibilität ihres Gehörs auch schon dann herab, wenn der angenehme Ton abgespielt wurde. Sie hatte schnell realisiert, dass auf den angenehmen Ton bei den Versuchen immer ein lautes, unangenehmes Geräusch folgte.
Laute Unterwasserwelt
Wie wir alle wissen, sind Delfine unterschiedlichsten Unterwassergeräuschen ausgesetzt. Ich denke dabei nicht an natürliche Meeresgeräusche, die auch sehr laut sein können, sondern an den durch den Menschen verursachten Lärm. Dazu zählen laute Marine-Tests, das Aufspüren von Gas- und Ölfeldern mithilfe von Schallkanonen, der Schiffsverkehr usw.
Die zunehmenden Unterwasseraktivitäten vor allem wirtschaftlicher und militärischer Art stellen ein immer größer werdendes Problem für alle mit dem Gehör navigierenden Geschöpfe dar. So gehen Meeresbiologen davon aus, dass der Unterwasserlärm Ursache ist für Massenstrandungen, für Taubheit und Gewebeschäden, die zur Orientierungslosigkeit und gar zum Tod von Delfinen und anderen Zahnwalen führen.
Die Navy schätzt, dass jedes Jahr rund eine Viertelmillion Meerestiere allein durch die laut dröhnenden Unterwasser-Scanner temporär oder dauerhaft hörgeschädigt werden.
Der ebenfalls auf der EAAM anwesende Wissenschaftler Adam Smith geht davon aus, dass im Ozean vor allem die tiefen Töne in den letzten 60 Jahren 100-mal lauter geworden sind!!!
Wie können die Erkenntnisse Nachtigalls wilden Delfinen nützen?
Dr. Nachtigall hofft, dass man in absehbarer Zukunft Delfine und andere Meerestiere mit Signalen vor einer lauten Geräuschquelle warnen kann. Dies könnte in ähnlicher Weise geschehen wie im Versuchszentrum auf Hawaii.
Der Delfin wird mithilfe eines Geräusches darauf konditioniert, seine Hör-Sensibilität herabzusetzen, bevor das eigentliche laute Geräusch ertönt. So würde er nicht von gehörschädigendem Lärm überrascht (was häufig zu panikartigem Auftauchen und zur Taucherkrankheit führt) und könnte früh genug auf die Störquelle reagieren.
Der Meeresbiologe betont jedoch, dass wir erst am Anfang der akustischen Erforschung bei Waltieren stehen. Noch viele wissenschaftliche Projekte müssten folgen, bevor den Tieren im Meer aktiv geholfen werden könnte.
(Quellen: Unterlagen sowie eigene Aufschriebe von der EAAM in Nürnberg und Whales, Somehow, Are Coping With Humans’ Din)
Ich freue mich sehr über Dr. Nachtigalls Reaktion auf meinen Beitrag: "Thank you so much. I really appreciate your excellent summary." ;o)))
Man sollte aber aufpassen, daraus nicht die falschen Schlüsse zu ziehen.
Es ist zwar belegt, dass die Tiere ihr Hörempfinden in unerwartet weiten Grenzen verändern können – es ist aber noch keineswegs klar, wie sie das tun und ob dies ihr Gehör auch tatsächlich (physisch) schützen kann – oder ob nur die nervliche Empfindungsschwelle verändert wird.
Ein anderer Vortrag auf der Tagung berichtete, dass bei einer Vielzahl von gestrandeten Schweinswalen an den deutschen und niederlänischen Küsten das Gehör physisch geschädigt war – und zwar so stark, dass die Gehörknöchelchen Frakturen aufwiesen.
Richtig ist allerdings auch, dass die Forschungen von Paul E. Nachtigall immens wichtig sind, wenn es darum geht, Methoden zu entwickeln, die künftig die Tiere vor schädlichen Schalleinwirkungen zu schützen bzw. sie aus Gefahrenbereichen fern zu halten.
Bis zum Beweis des Gegenteils wird man davon ausgehen müssen, dass der einzig wirksame Schutz darin besteht, die Tiere von gefährlichen Schallquellen fern zu halten, bzw. sie aus diesem Bereich rechtzeitig zu vertreiben.
Das Problem mit dem schnellen Auftauchen stellt sich übrigens nur bei Pottwalen und anderen Arten, die in extreme Tiefen vordringen. Ein rasanter Aufstieg eines Großen Tümmlers aus 30 – 50 Metern dürfte dem Tier kaum etwas ausmachen. Wenn sie in freier Wildbahn hoch aus dem Wasser springen, schießen sie zumeist fast senkrecht von unten aus dem Wasser – mit bis zu 50 km/h!
Übrigens:
Bis Tiefen von 100 Metern schießen auch menschliche Freitaucher (OHNE(!!) Atemgerät) mit bis zu 20 km/h und mehr an die Oberfläche (Disziplin "No Limit" – der Taucher wird dabei von einem Schlitten gezogen), ohne dass dies primär schädlich wäre. Erst bei Wiederholungstauchgängen wird es kritisch (bei Menschen – nicht bei Delfinen).
Für Gerätetaucher gelten da freilich ganz andere Regeln: Wer schneller als 0,5 km/h auftaucht (9 m / min) spielt auch nach einem Nullzeittauchgang (also ohne Deko-Pflicht) mit seiner Gesundheit.