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Stress bei Delfinen


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Philipp J. Kroiß/Meeresakrobaten, 17. März 2014

Es gibt nicht wenige Delfinariengegner, die behaupten, dass Delfine in Menschenobhut dauerhaft unter schädlichem Stress leiden würden.

Großer Tümmler/Ägypten (Foto: SimSim-Reisen)

Großer Tümmler/Ägypten (Foto: SimSim-Reisen)

Mithilfe der Bestimmung des Cortisol-Wertes bzw. des Cortisol-Levels wurde jedoch in diversen Studien aufgezeigt, dass wild lebende Delfine einen höheren Cortisol-Wert aufweisen als ihre Artgenossen in Delfinarien.

Philipp J. Kroiß bezieht sich in seinem Beitrag vor allem auf die Diplomarbeit von Shelby Proie: „A Systematic Review of Cortisol Levels in Wild and Captive Atlantic Bottlenose Dolphin (Tursiops truncatus), Killer Whale (Orcinus orca) and Beluga Whale (Delphinapterus leucas)“

Was stresst Delfine?

Freilebende Delfine können Stress erfahren durch Lärm, Raubtiere, Fischernetze, Whale-Watching-Aktivitäten, Klimaveränderungen, mit Umweltgiften kontaminiertes Wasser, Ölunfälle, Lebensraumschwund und vieles mehr.

Delfine, die in menschlicher Obhut gehalten werden, können gestresst werden, wenn sie beispielsweise von Artgenossen isoliert werden, durch soziale Instabilität, wenn sie nicht beschäftigt werden, wenn ihr Futter eine schlechte Qualität hat, durch stark gechlortes Wasser, durch laute, unnatürliche Geräusche und durch häufige menschliche Interaktion.

Großer Tümmler (Foto: Susanne Gugeler)

Großer Tümmler (Foto: Susanne Gugeler)

Wie wird Stress gemessen?

Ob ein Mensch oder ein Tier gestresst ist, lässt sich anhand von Coritsol-Werten feststellen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Cortisol-Gehalt bei Delfinen zu bestimmen. Die wohl gebräuchlichste bei in menschlicher Obhut gehaltenen Delfinen ist die Blutabnahme. An diese Prozedur werden die Tiere durch das sogenannte „Medical Training“ gewöhnt. Bei wild lebenden Delfinen bedient man sich eher der „Fäkalstudien“. Die Ausscheidungen der Meeressäuger werden eingesammelt und mithilfe bestimmter chemischer Verfahren zur Cortisol-Bestimmung herangezogen.

Selbstverständlich lassen sich die Cortisol-Werte, die auf unterschiedliche Weise gewonnen wurden, nicht direkt miteinander vergleichen. Doch es ist – laut Shelby Proie – zumindest eine Tendenz zu erkennen.

Was ist Cortisol?

Cortisol ist ein Hormon aus der Gruppe der Glucocorticoide, das in der Nebennierenrinde hergestellt wird. Es aktiviert abbauende Stoffwechselvorgänge und stellt dem Körper energiereiche Verbindungen zur Verfügung.

Bei Stress wird das Hormon vermehrt freigesetzt. Aber auch bei Unterzuckerung und Schwangerschaft sind die Cortisol-Werte beim Menschen erhöht. Ebenso bei einer Überfunktion der Nebenniere ist ein hoher Cortisol-Level zu beobachten. Umgangssprachlich gilt Cortisol als „Das Stresshormon“. Seine Konzentration gibt also Aufschluss darüber, wie gestresst ein Tier ist.

Entspannter Delfin (Foto: Susanne Gugeler)

Entspannter Delfin
(Foto: Susanne Gugeler)

Studien an verschiedenen Meeressäugern

Großer Tümmler (Tursipos truncatus)
In einer vergleichenden Studie aus dem Jahre 1986 wiesen Thomson und Geraci bei 38 getesteten Tieren in der Wildbahn einen Cortisol-Level (Serum) von 100 nmol/L bzw. 3,6 μg/dl bei Großtümmlern nach. Bei den Tieren in Menschenobhut (2 getestete Tiere) lag der Cortisol-Level (Serum) lediglich bei 35 nmol/L bzw. 1,3 μg/dl.

Orca in Vancouver Island (Foto: S. Gugeler)

Orca in Vancouver Island (Foto: S. Gugeler)

Ebenfalls niedriger lagen die Werte bei einer vergleichenden Studie von St. Aubin et al. (1996). In der Wildbahn (36 Tiere) wurde ein Cortisol-Level (Serum) von 71,7 nmol/L bzw. 2,6 μg/dl gemessen, in Menschenobhut (ebenfalls 36 Tiere) wurden mit dem gleichen Verfahren Werte von 52,4 nmol/L bzw. 1,9 μg/dl gemessen.

Die zweifellos aussagekräftigere zuletzt erwähnte Studie weist zudem nach, dass auch die Spitzenwerte des Cortisol-Levels in der Wildbahn und nicht in Menschenobhut gemessen wurden. Die gestressteren Tiere leben also in der Wildbahn.

Bei wild lebenden Großen Tümmlern kommen alle Studien auf einen durchschnittlichen Cortisol-Level von 83 nmol/L, bei Tieren in menschlicher Obhut liegt dieser Wert bei 30,6 nmol/L (Proie, 2013).

In der Studie von Proie, 2013, werden auch zeitliche Trends aufgezeigt. In der Wildbahn ergibt sich für T. truncatus eine steigende Tendenz, während der Cortisol-Level in Menschenobhut immer geringer wird. Das zeigt den Fortschritt der Delfinhaltung und kann ein Indiz dafür sein, dass Große Tümmler in der Wildbahn einem immer größer werdenden Stress ausgesetzt sind.

Schwertwal (Orcinus orca)

Orca-Zunge (Foto: Rüdiger Hengl)

Orca (Foto: Rüdiger Hengl)

Über Schwertwale gibt es 4 Studien, die alle in menschlicher Obhut durchgeführt wurden. Dabei wurde nie ein durchschnittlicher Wert höher als 9,66 nmol/L bzw. 0, 35 μg/dl gemessen (Lyamin et al., 2005 (Plasma, 3 Tiere, 3 Proben)). Die niedrigsten gemessenen durchschnittlichen Werte ergaben sich in der Studie von Suzuki et al. im Jahre 1998 (Serum, 3 Tiere, 18 Proben): 5,52 nmol/L bzw. 0,2 μg/dl.

Weißwal (Beluga, Delphinapterus leucas)
Bei Belugas zeigt sich das gleiche Bild wie bei den Großen Tümmlern. Auch hier wurde der höchste durchschnittliche Cortisol-Level in insgesamt 7 Studien in der Wildbahn (Tryland et al., 2006) und der niedrigste in Menschenobhut (Spoon & Romano, 2012) gemessen.

Der in allen Studien in der Wildbahn durchschnittliche Cortisol-Wert betrug 103,55 nmol/L. In menschlicher Obhut hingegen 38,7 nmol/L (Proie, 2013).

Fazit

Fassen wir noch einmal zusammen: Die Studien an T. truncatus und D. leucas wiesen glasklar einen durchschnittlich höheren Stresslevel bei wild lebenden Tieren als bei Tieren in Menschenobhut nach.

Beluga (Foto: Ulrike Germeshausen (&#10013)

Beluga (Foto: Ulrike Germeshausen (&#10013)

Bei O. orca gab es bisher (Stand: 2013) noch keine Studien zum Cortisol-Level in der Wildbahn. Sehr wohl kann man aber anhand dieser Ergebnisse Aussagen darüber treffen, dass der am häufigsten im Delfinarium gehaltene Delfin – der Großtümmler, dessen atlantische Form alle Haltungen im EEP (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm) beherbergen – in Menschenobhut weitaus weniger Stresshormone aufweist als sein Artgenosse im Ozean.

Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse weisen darauf hin, dass das Stresslevel der Großtümmler in der Wildbahn im Vergleich höher ist und wahrscheinlich sogar steigt, während das Stresslevel der Tiere in Menschenobhut im Vergleich geringer ist und immer weiter fällt.

Ein herzliches Dankeschön an Philipp, der zum Thema „Stress bei Delfinen“ diese interessante Recherche vorgenommen hat!

6 Kommentare

  1. Was mir in dem Artikel fehlt, sind Angaben zu den Tageszeiten und Umständen der Messungen und ebenso eine Angabe zur Vergleichserhebung zum „Normalwert“, denn sowohl zu hoher als auch zu niederiger Cortisolwert sind gesundheitlich problematisch. Durch seine vermehrte Ausschüttung in Stresssituationen stellt es Energie zur Verfügung, indem es Zucker-, Fett- und Eiweißspeicher abbaut. Bei Immunprozessen hilft Cortisol durch seine entzündungshemmende und antiallergische Wirkung und hat für die Gesunderhaltung des Körpers eine wichtige Funktion. Im Übrigen können niedrige Cortisolwerte auch auf die Anwendung von Psychopharmaka hinweisen.

    Dazu käme dann auch noch die Frage, ob bei den wildlebenden Probanden die Testung allein nicht schon Grund genug war, vermehrt das Stresshormon auszuschütten, wohingegen die in Gefangenschaft lebenden TestobjekteTestungen und die Annäherung von menschlichenTestern ja gewohnt sind. Alles in allem ein fragwürdiger Vergleich und eher weniger geeignet als Argument pro Delfinarienhaltung.

    geschrieben von May
    1. Hallo May! Die Studie von Proie ist ca. 150 Seiten lang. Hier habe ich nur eine verkürzte Version bzw. Übersetzung von Philipp wiedergegeben. Da müssten Sie sich dann schon selbst mit der Studie befassen, um auf alle Fragen eine Antwort zu erhalten.

      Dass die Werte teilweise mit unterschiedlichen Methoden gewonnen wurden, steht in dem Beitrag oben. So wurden bei den Delfinen im Meer u.a. Fäkalproben eingesammelt, was bei den Tieren bestimmt keinen zusätzlichen Stress ausgelöst hat.

      Ein wichtiges Ergebnis der Studie von Proie ist außerdem, dass die wild lebenden Delfine immer höhere Cortisol-Werte aufweisen im Vergleich zu früheren Erhebungen. Das könnte evtl. auch ein Hinweis darauf sein, dass sie mehr immunschwächenden Krankheiten ausgesetzt sind, wie ja aus Ihrem eigenen Beitrag zu schlussfolgern wäre. Die Tiere, die in menschlicher Obhut untersucht wurden, waren selbstverständlich keiner Medikamention ausgesetzt, da sonst die Studien absolut keinen Sinn machen würden.

      geschrieben von Susanne
  2. @Doris
    Höherer Stress in Gefangenschaft ist doch ein ständiger Diskussionsgrund bei Delfinariengegnern. Ob Cortisol zur Messung geeignet ist mag dahingestellt sein. Wie kommst du darauf das Cortisol vorsichtshalber im Körper produziert wird? Dies wäre mir neu.

    In meinen Augen ist Stress auch eine positive Eigenschaft für den Körper, nur wird Stress von Tierrechtlern immer nur negativ gesehen. So dient eine Stereotype bei Tieren und auch beim Menschen als Form des Stressabbaus.

    geschrieben von Gerd
  3. Wenn man diesen Bericht des Tagesspiegels (Link) liest, rückt die Ausschüttung von Cortisol jedoch in ein ganz anderes Licht. Die Ausschüttung vor Cortisol ist offenbar nur sehr indirekt ein Stressanzeichen sondern eher die postive Reaktion des Körpers, den Organismus fordernde Zustände zu kompensieren. Cortisol ist also eventuell sogar ein positives Zeichen für eine gesunde Reaktion des Körpers. Cortisol hat auch durchaus postive Effekte wie erhöhnte Aufmerksamkeit. http://www.tagesspiegel.de/wissen/stressforschung-auf-die-adrenalin-ausschuettung-folgt-cortisol-das-uns-aufmerksam-haelt/8094122-2.html
    Zudem kann man, wie auch im Meeresakrobaten-Artikel bemerkt, die Werte in Ausscheidungen und im Blut ohnehin gar nicht vergleichen. Und auch mit einer Tendenzprognose wäre ich sehr vorsichtig, denn warum Cortisol ausgeschieden wird, und wie zu dieser Zeit der Blutwert ist, wurde offenbar kaum getestet. Womöglich wird Cortisol nur ausgeschieden, weil zwar vorsichtshalber produziert, wird, aber Cortisol nicht „verbraucht“ wird, weil der Delfin in freier Wildbahn den Stress durch genügend Bewegung wieder abbauen kann. http://www.netzathleten.de/Sportmagazin/Gesundheitsratgeber/Stressbewaeltigung-durch-Sport-Warum-Laufen-den-Kopf-freimacht/7846078478766342599/head
    Unter dem Strich sind in meinen Augen diese Studien nicht dazu geeignet, Stress, ob positiv oder negativ, von Wilddelfinen und von Delfinen in Gefangenschaft zu bewerten.

    geschrieben von Doris Thomas
    1. Immer das gleiche Muster: Wenn Studien nicht das gewünschte Ergebnis liefern, sind sie angeblich falsch oder nicht aussagekräftig.

      Nun ist es aber doch so, dass Cortisolmessungen vor Allem bei Menschen in extremer Menge vorliegen und praktisch immer einen klaren Zusammenhang zwischen Stressbelastung und Cortisolspiegel aufweisen.
      Auch bei Großen Tümmlern (bitte keine „Großtümmler“ – die gibt es nicht) gibt es eindeutige Nachweise für einen nachvollziehbaren Zusammenhang, wie z.B. in einem Delfinarium, in dem (ziemlich laute) Tests zur Statik vorgenommen wurden: Prompt stieg der Cortisollevel der Tiere stark an und nach Abschluss der Tests ging er wieder auf den normalen Level zurück.
      Oder in Nürnberg: Immer wenn es beim Bau der Lagune besonders laut wurde (Erdarbeiten, Boden- oder Beton-Verdichtung) stieg auch der Cortisollevel bei den Delfinen enstprechend an. Oder wenn sich Tiere zwecks Rangordnung fetzen, oder … die Liste lässt sich noch fast beliebig verlängern.

      Oder im einem Satz: Der Cortisolspiegel ist der zuverlässigste und objektivste Indikator für Stress, den wir bei Säugetieren haben.

      Und für mich ist absolut nachvollziehbar, dass Tiere in freier Wildbahn einen deutlich höheren Stresslevel haben – allein schon die Tatsache, dass ein Delfin-Pod in freier Wildbahn nur kurzzeitig schlafen kann (wegen der Gefahr durch Raubtiere bis hin zu Möwen, die gerne mal Hautstücke aus einem Delfinrücken heraushacken – von menschengemachten Störungen ganz zu schweigen), während die Tiere in Delfinarien sehr entspannt und in flachen Becken die ganze Nacht durchschlafen können (und dies auch tun).
      Wer das nachvollziehen möchte, soll einfach mal ein paar Nächte wild campen – auch ohne gefährliche Raubtiere geht das ganz schön an die Substanz, weil man bei jedem ungewohnten Geräusch sofort hell wach ist.

      Dass man durch Sport einen erhöhten Cortisollevel abbauen kann, ist natürlich auch richtig. Aber der bessere Weg ist immer noch, den Level von Vorneherein niedrig zu halten.

      Vielleicht werden Delfine in menschlicher Obhut (ordentlich geführte Delfinarien in Westeuropa und USA) auch deswegen inzwischen fast doppelt so alt, wie in freier Wildbahn. Jedenfalls zeigt die aktuelle Überlebensstatistik seit Jahren eine „Flatline“; d.h. die jährliche Sterberate für unter 35-jährige Delfine liegt inzwischen bei kaum noch 1% (freie Wildbahn ca. 3,5%).
      Sicherlich spielt die medizinische Versorgung dabei eine zentrale Rolle – aber bei Dauerstress würde auch das nicht viel helfen!

      geschrieben von Norbert
  4. Die wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen, was jeder normal denkende Mensch ohnehin schon ahnte. Delfine in Tiergärten sind stressfreier.

    Für mich ist es nur logisch, dass Tiere, die keinem Feind ausgesetzt sind, die sich nicht selbst versorgen müssen, denen das Fressen auf „Silbertabletts“ serviert wird und die nur ab und an in ihrem Wellness-Hotel für eine halbe Stunde Sport treiben, deutlich weniger gestresst sein müssen als solche, die tagtäglich ums Überleben kämpfen, nicht wissen, wann und wo es was zu fressen gibt, wann und wo die Zodiaks profitorientierter Whalewatcher durch ihre Schulen brettern und wie sie mit dem Plastikmüll und der chemischen Verseuchung in den Weltmeeren klarkommen sollen.

    geschrieben von Rüdiger

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