Eine Einschätzung der MEERESAKROBATEN/27. April 2014
Morgen findet im Landtag von NRW eine Anhörung zur Haltung von Delfinen statt. Die Piraten-Partei hatte Anfang des Jahres in einem Antrag die Forderung gestellt, das Delfinarium in Duisburg zu schließen.
Für mich ist der Antrag der nordrhein-westfälischen Piraten-Partei keine Wal-, sondern eher eine WaHlkampagne. Schließlich sind in vier Wochen in NRW Kommunalwahlen und da haben es die Piraten bitter nötig, auf sich aufmerksam zu machen. Bis jetzt glänzten sie eher durch viel Streit und Diskussionen, wie der WDR erst vor kurzem berichtete.
Absahnen bei der Tierschutz-Lobby?
Warum also nicht einmal den Versuch starten, bei der Tierschutz-Lobby abzusahnen? Und da eignet sich das Thema Delfine besonders gut. Schließlich sind Delfine charismatische Tiere und schließlich wird um deren Haltung schon lange gestritten – vor allem in den sozialen Netzwerken. Dort fühlen sich die Piraten bekanntermaßen nach wie vor zu Hause.
Einladung nicht angenommen
Meiner Meinung nach geht es den Piraten gar nicht um die Waltiere. Sonst hätten sie sich zumindest über die Tiere informiert, deren Lebensbedingungen sie doch offenbar verbessern wollen. Eine vom Zoo Duisburg ausgesprochene Einladung nahmen sie jedoch nicht an.
Auch der Direktor des Zoos – Achim Winkler – wundert sich, warum sich die Piraten nicht „ein eigenes und umfassendes Bild von der Situation der Delfinhaltung vor Ort im Duisburger Delfinarium gemacht haben, wie es andere politische Vertreter sehr wohl getan haben, die hierbei ein durchweg positives Bild der Delfinhaltung gewonnen haben.“
Wahrscheinlich wären die Piraten nach einer Begegnung mit den neun Großen Tümmlern in Duisburg sehr irritiert gewesen. Denn wenn sie einmal erleben würden, wie putzmunter, frech und neugierig Daisy, Dörte & Co. sind, würden sie ihre Meinung bestimmt ändern. So berufen sie sich lieber auf Ferndiagnosen von umstrittenen Tierschutz-
Organisationen wie PETA u.a.
Stellungnahmen
Auf der Website des NRW-Landtags kann man verschiedene Stellungnahmen der beiden Lager zum Antrag der Piraten lesen. Die Lektüre (vier Anti- und fünf Pro-Delfinarium-Beiträge) ist sehr zu empfehlen. Im Folgenden möchte ich die für mich wichtigsten Aspekte vorstellen.
Delfinariengegner
Der Deutsche Tierschutzbund wirft dem Tiergarten Nürnberg (wohlgemerkt nicht dem Duisburger Delfinarium, um das es im Piraten-Antrag geht) vor, dass dieser hin und wieder Medikamente an die Tiere verabreicht, um sie zu beruhigen oder vorübergehende Verhaltensänderungen zu bewirken (Stichwort Diazepam).
Wie man sich in den Medien informieren kann, befürwortet der Tierschutzbund jedoch, Katzen zu kastrieren. Einen größeren und nicht rückgängig zu machenden Eingriff in das Wesen eines Tieres ist ja wohl kaum möglich. Meiner Meinung nach passen diese unterschiedlichen Einstellungen – das eine lassen, das andere tun – überhaupt nicht zusammen …
– DR. KARSTEN BRENSING
Science and Conservation Manager Germany WDC, Whale and Dolphin Conservation/München
Brensing schreibt zunächst einmal ausführlich über Delfinarien aus dem Ausland und dass er vor zehn Jahren mit Delfinen – u.a. in Israel – gearbeitet hätte. Wie bereits bei seiner Anhörung im Bundestag im vergangenen Jahr erwähnt er erneut ein Meeresgehege, in das zwei ehemalige Delfine aus Soltau irgendwann einmal überführt werden sollen. Konkrete Informationen zu dieser abgesperrten Meeresbucht gibt Brensing allerdings auch dieses Mal nicht …
Hier möchte ich an das Schicksal von Delfin Marco erinnern. Der Streifendelfin, der in Spanien gestrandet und zunächst gerettet wurde, hatte ein Unwetter in einem Meeresgehege nicht überlebt, da er vom Sturm gegen die Felsen geschleudert wurde. Warum sollte also ein Meeresgehege in einer Bucht für Delfine empfehlenswerter sein als ihre Unterbringung in einem gut geführten und geschützten Delfinarium?
Brensing nennt als Verantwortlichen für dieses (in Planung befindliche?) Meeresgehege das Freizeitpark-Unternehmen Merlin Entertainment. Merlin Entertainment betreibt insgesamt 87 Freizeiteinrichtungen, u.a. die Sea-Life-Kette. Hier werden Haie und andere Meerestiere präsentiert.
Meiner Meinung nach kann ein kommerziell ausgerichtetes Aquarium in Bezug auf die Delfinhaltung kein Vorbild sein. Außerdem verstehe ich nicht, dass eine Tierschutz-Organisation wie die WDC Einrichtungen unterstützt, die Meerestiere gefangen halten.
Brensing listet dann noch Daten zur medizinischen Behandlung von Delfinen aus Nürnberg auf (wohlgemerkt nicht aus Duisburg!), die ohne Relationen einfach in den Raum geworfen werden. Dann zählt Brensing Todesfälle auf, die fast alle aus der Anfangszeit der Delfinhaltung stammen.
Auch gefällt Brensing nicht, dass es in Duisburg neben den neun Großen Tümmlern auch noch einen einzeln gehaltenen Flussdelfin gibt. Er räumt zwar ein, dass diese Tierart sehr wohl einzelgängerisch lebt, die Delfine sich aber in Notsituationen unterstützen würden.
Bekanntlich greifen in der Zootierhaltung Tierärzte und Pflegepersonal ein, wenn es zu Notsituationen kommen sollte … Meiner Meinung nach ist Brensings Argumentation gegen die Haltung des Flussdelfins daher nicht haltbar.
– NICOLAS ENTRUP
ehemaliger Geschäftsführer der WDC, nun Konsulent von OceanCare
Entrup spricht von Wildtieren, die nicht aus ihrem Lebensraum genommen werden dürfen. Wohlgemerkt: Seit etwa 20 Jahren gibt es in den beiden deutschen Delfinarien keine weiteren Wildfänge mehr …
– DR. TANJA BREINING
Meeresbiologin bei PETA, Deutschland
Breining fordert eine Auswilderung der Duisburger Delfine zu erwägen oder sie in eine betreute Meeresbuch zu bringen … Immerhin gibt sie zu, dass eine Meeresbucht bisher nicht zur Verfügung steht …
Die weiteren Ausführungen von Breining erspare ich mir hier. Sie sind meiner Meinung nach zu hanebüchen. Jeder Interessierte kann sich Breinings Stellungnahme ja selbst anschauen.
Befürworter der deutschen Delfinarien
* VINCENT M. JANIK
Delfin-Experte von der University St Andrews, UK
Janik wirft dem Antrag der Piraten eine falsche Interpretation wissenschaftlicher Daten sowie eine vermenschlichende Auffassung von Haltungsbedingungen vor. In seiner Stellungnahme stellt er klar, warum die Delfinhaltung vor allem für die Wissenschaft und für den Artenschutz wichtig ist.
* THEO PAGEL
Präsident des Verbandes Deutscher Zoodirektoren (VDZ) e.V. / Direktor Kölner Zoo
Pagel hebt hervor, dass grundlegende Erkenntnisse über die Bioakustik und das Denkvermögen von Delfinen in Delfinarien gewonnen wurden. Außerdem betont er, dass Tiergärten und Zoos eine große Beliebtheit erfahren. Infrage gestellt würden sie lediglich von einer Minderheit, „die allerdings sehr gute Kontakte zu haben scheint und sehr lauthals agiert“.
Man kann in Pagels Stellungnahme außerdem lesen, dass die Lebenserwartung Großer Tümmler in den Delfinarien des EEPs (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm) mittlerweile höher ist als die höchste bisher bekannte Lebenserwartung von Großen Tümmlern im Freiland. (Siehe dazu auch MEERESAKROBATEN-Beiträge Zoo-Delfine leben länger und Das Durchschnittsalter von Delfinen)
* JÖRG ADLER
Direktor des Allwetterzoos in Münster
Adler hat die Befürchtung, „dass eine politische Diskussion um ein knappes Dutzend Tiere in Duisburg von den gravierenden Problemen um die Bewahrung der globalen Artenvielfalt ablenken kann“. Er erinnert an den Jangtse-Delfin, der als ausgestorben gilt, und hofft, dass dessen Schicksal keine weiteren Arten erleiden.
Adler stellt in dem von ihm verfassten Dokument außerdem erneut klar, „dass es keinesfalls der angebliche Druck seitens des WDSF und anderer Gruppierungen war, der zur Abgabe der Delfine in Münster geführt hat. Vielleicht war es die (durchaus verständliche) Wahrnehmung durch diese Personengruppen, dass öffentlicher Druck auf das Delfinarium Münster und/oder den Allwetterzoo ausgeübt wurde. Tatsächlich hat zu keinem Zeitpunkt ein solcher Druck der Öffentlichkeit bestanden. Selbst bei einem (damals gern genehmigten) Auftritt des WDSF vor dem Zooeingang war die Reaktion der wenigen Besucher, die sich überhaupt angesprochen fühlten, eher ambivalent. Und die Medien zeigten ebenfalls ein gebremstes Interesse an der Berichterstattung.“
Adler weiter: „Der Grund für den Transfer der Delfine aus Münster war vielmehr die länger geplante Neuausrichtung (Meerespark Konzept 2000 Plus) des damaligen Delfinariums (heute Robbenhaven) im Allwetterzoo im Zusammenhang mit einem absehbaren Besitzerwechsel. Der neue und aktuelle Inhaber sah in dieser Neuausrichtung eine Chance, durch attraktivere Angebote mit anderen Tiergruppen die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens (Wirtschaftlichkeit ist nicht zu verwechseln mit „Riesengeschäft“!) langfristig zu sichern. Die weitere Haltung von Delfinen unter völlig veränderten Umständen war eine der Optionen, aber wegen des absehbaren finanziellen Aufwandes in zweistelliger Millionenhöhe nicht zu rechtfertigen.“
* ACHIM WINKLER
Zoodirektor von Duisburg
Winkler spricht von einer Vielzahl sachlicher Fehlinformationen durch die Antragsteller.
Außerdem betont er, dass Delfine im Delfinarium die gleichen Verhaltensmuster zeigen wie ihre Artgenossen im Freiland. (Siehe dazu auch die Studie der Delfin-Expertin Kathleen M. Dudzinski.)
Für die Diskussion am 28. April gibt Winkler auch zu bedenken, dass die Delfine im Delfinarium heute deutlich länger leben als ihre Artgenossen im Freiland. Zitat Winkler: „So hat sich die Lebenserwartung der im Europäischen Erhaltungszuchtprogramm EEP gehaltenen Delfine in der Zeit 1964 bis 2011 gegenüber der Zeit von 1990 bis 2011 von durchschnittlich 13 auf durchschnittlich 22 Jahre signifikant verlängert und liegt damit deutlich höher als in allen bekannten Wildpopulationen, wie z.B. in der geschützten Bucht von Sarasota in Florida, wo die dortige seit Jahrzehnten intensiv studierte Delfinpopulation lediglich eine Lebenserwartung von weniger als 18 Jahren aufweist, als einer der höchsten Lebenserwartungswerte im Freiland (berechnet auf der Grundlage des Medianwertes der Lebenserwartung, der zwecks Vergleichbarkeit der Zoo- und Wildtierdaten das Alter der Tiere angibt, die das erste Lebensjahr überleben).“
Außerdem gibt Herr Winkler zu bedenken, dass Delfine nicht nur in Freiheit, sondern auch im Delfinarium große Strecken zurücklegen, da sie in beiden Lebensräumen fast ununterbrochen schwimmen.
* WOLFGANG RADES
Vogelpark Herborn GmbH / NABU BAG Internationaler Artenschutz
Mit großer Besorgnis beobachtet Rades die Zunahme unsachlich polemisierender Angriffe einiger aus seiner Sicht „sehr kurzsichtiger Tierrechtsaktivisten gegen die zeitgemäß wissenschaftlich geführten Zoologischen Gärten, die immerhin weltweit jährlich mehr als 600 Millionen Besucher haben und mit jährlich 350 Mio.US-Dollar der weltweit drittgrößte Geldgeber für Natur- und Wildtierschutzprojekte sind“.
FAZIT
Meiner Meinung nach sprechen mehr Argumente für die Delfinhaltung in Duisburg (und Nürnberg) als dagegen. Delfinariengegner diskutieren fast ausschließlich emotional und scheinen die Veränderungen, die sich in der Delfinhaltung seit den 1960er-Jahren ergeben haben, zu ignorieren. Ich hoffe daher, dass auch der Landtag im Sinne der neun in NRW gehaltenen Großen Tümmler entscheiden wird – so wie vor einem Jahr der Bundestag bereits die Weiterführung der Delfinarien in Nürnberg und Duisburg beschlossen hat.
Presseartikel zum Thema
Die Regierung streitet über die Duisburger Delfine
Delfine im Duisburger Zoo entzweien SPD und Grüne
Entscheidung zu Delfin-Haltung in Duisburg kommt wohl erst im Herbst