Symposium, Teil 6
Mittags gab es dann noch für alle Interessierte (und das waren nicht wenige) eine Diskussionsrunde über die Haltung von Delfinen in wissenschaftlich geführten Einrichtungen.
Die Fragen wurden von vier Tierpflegern und/oder Biologen sowie dem Zoo-Direktor Dr. Dag Encke entgegengenommen und beantwortet. Es konnten viele Bedenken, die zum Teil auf Fehlinformationen durch radikale Delfinariengegner basierten, ausgeräumt werden. Im Hintergrund sah man den Tierpfleger Armin Fritz, wie er sich mit seinen Schützlingen beschäftigte.
Nicht art-, sondern tiergerecht
Die Delfin-Experten legten Wert darauf, nicht von artgerechter, sonder tiergerechter Haltung zu sprechen. Bei einer artgerechten Delfinhaltung müssten nämlich sämtliche Umwelteinflüsse (also auch Sturm, Netze, Plastikmüll, Haie, Umweltgifte usw.) in ein Delfinarium gebracht werden. Das will natürlich niemand. Daher ist es eher angebracht, von tiergerechten – also den Bedürfnissen eines Tieres am ehesten gerecht werdenden – Bedingungen zu reden.
In menschlicher Obhut gehaltene Delfine verhalten sich bis zu 91,4 Prozent gleich wie ihre Artgenossen im Meer, konnte man von den Experten erfahren. Was fehlen würde, ist die Jagd nach Beute oder das Graben im Sand. Dazu kämen dafür andere Eindrücke – zum Beispiel andere Wesen oder Gegenstände, die den Tieren zum Spielen zur Verfügung gestellt werden.
Delfine schwimmen in Lagune große Strecken
Auch den oft von Delfinariengegnern vorgebrachten Einwand – Delfine schwämmen im Meer große Strecken, was ihnen im Delfinarium nicht ermöglicht würde – konnten Encke und Co. entkräften.
Denn im Delfinarium wird ebenfalls täglich eine große Strecke geschwommen. Diese führt zwar nicht geradeaus – wie im Ozean -, doch die Tiere sind ständig in Bewegung. Davon konnte man sich auch gut live überzeugen. Die Bullen Arnie und Rocco schwammen von der Lagune in das überdachte Delfinarium und wieder nach draußen, machten kleine Verfolgungsjagden und untersuchten im Becken befindliche Gegenstände mit viel Interesse. Sie waren also ständig in Bewegung.
Whale-Watching stört Aufzucht von Delfinen
Dem Vorschlag aus dem Publikum, Delfine statt in einem Delfinarium ausschließlich in freier Natur zu begegnen, fanden die Experten nicht so berauschend. Jungtiere trinken etwa 200 Mal am Tag Milch bei ihrer Mutter. Wird dieser Zyklus durch Touristenboote durchbrochen, so verlieren die kleinen Delfine sehr schnell an Energie und werden anfälliger für Krankheiten. Der immer größer werdende Wirtschaftszweig „Whale-Watching“ wird zu einer ernstzunehmenden Bedrohung für Delfine.
Der Großteil der Delfine sind Nachzuchten
Mittlerweile sind 66 Prozent der in Europa gehaltenen Delfine Nachzuchten (in den USA, wo mit der Delfinhaltung früher begonnen wurde, liegt der Prozentsatz noch höher). Dabei ist die genetische Variabilität über einen Zeitraum von 100 Jahren gesichert, da es noch viele Gründerdelfine gibt, die heute noch leben. Bei der genetischen Vielfalt stehen die Delfine – laut Dag Encke – besser da als andere Zootiere.
Jungensterblichkeit
Wichtig bei der Aufzucht eines Delfins ist, dass das neugeborene Tier sofort nach dem Austritt aus dem Mutterleib an die Wasseroberfläche zum Atmen kommt. Die Lunge der Neugeborenen ist stark gefaltet. Das Jungtier muss möglichst schnell einen großen Atemzug machen, damit sich die Lunge entfalten könne. 45 bis 60 Sekunden können da schon über Leben und Tod entscheiden.
Spätestens nach acht bis zwölf Stunden (das kommt immer ganz auf den individuellen Fall an) sollte das Neugeborene zum ersten Mal trinken. Das Delfin-Baby trinkt etwa 10 Mal in der Stunde, also ungefähr 200 Mal am Tag.
Die Jungtiersterblichkeit liegt im Delfinarium wie im Freiland bei ca. 50 Prozent. Das liegt unter anderem daran, dass sich das Immunsystem von neugeborenen Delfinen nur langsam aufbaut.
Man hat herausgefunden, dass im Freiland Mütter erst mit 15 Jahren ihr Jungtier vorbildlich führen können. Delfin-Weibchen sind zwar bereits mit sechs Jahren empfängnisbereit, aber dann meist noch nicht in der psychischen und physischen Verfassung, ein Jungtier 24 Stunden täglich über drei Jahre hinweg aufzuziehen. Sie sind selbst noch zu jung dafür und lassen sich durch alles Mögliche ablenken.
Man kann also sagen, dass eine Delfinmutter neun Jahre Übungszeit braucht, bis sie ein Jungtier perfekt aufziehen kann.
Delfine sind Individuen
Die Tierpfleger machten deutlich, dass die Delfine sehr gut medizinisch versorgt und untersucht würden, da sie freiwillig beim sogenannten „Medical Training“ mitmachten. Das wäre bei anderen Zootieren nicht gegeben.
Bei Delfinen kann man sofort eingreifen, wenn eine Krankheit oder Verletzung diagnostiziert wird. Bei einer Antilope sei das um ein Vielfaches schwieriger, wie die Experten anhand von Beispielen erläuterten.
Die Blutbilder der Delfine lassen unterschiedliche Schlüsse zu. So kann ein bestimmtes Blutbild bei einem Delfin bedeuten, dass er vollkommen gesund ist. Die gleichen Blutwerte können bei einem anderen Tier jedoch bedeuten, dass es krank ist. Die Werte müssen ganz individuell betrachtet werden.
Delfin-Experten sprechen nicht von Wohlbefinden, sondern vom Wohlergehen der Delfine. Das Wohlbefinden ist nämlich nicht messbar.
Seelöwe oder Delfin?
Fast alle Delfine im offenen Meer und auch im Delfinarium weisen Striemen auf der Haut auf. Da die Nürnberger Großen Tümmler im Verbund mit kalifornischen Seelöwen schwimmen, gibt es auch unter diesen Tierarten manchmal Rangeleien. Man kann deutlich erkennen, welche „Marken“ von Artgenossen und welche von Seelöwen stammen. So deutet ein langer schwarzer Kratzer auf der Delfinhaut auf eine „Begegnung“ mit den Zähnen eines Seelöwen hin. Mehrfachstriemen stammen von Artgenossen.
Ein Seelöwe, der von einem anderen Seelöwen mit den Zähnen geritzt wurde, zeigt übrigens keine Narben. Narben findet man nur auf der empfindlichen Delfinhaut. Ganz deutlich ausgeprägt sind diese zum Beispiel bei den Rundkopfdelfinen u.a. im Mittelmeer. Ältere Tiere sind über und über mit Narben bedeckt, sodass ihre Haut schon fast eine weiße Farbe angenommen hat.
Danke für diesen sachlichen Bericht!
Ich finde es wirklich wichtig, zu differenzieren: Einem Delphin in einem deutschen Delphinarium geht es heute echt gut.
Wahrscheinlich hat er eine höhere Lebenserwartung als im Freiland. Neben den genannten Hai-angriffen u. a. Unbilden kommen ja noch die harten Kämpfe innerhalb der Delphingruppen dazu: Halbstarke und ausgewachsene Bullen können andere Tümmler verprügeln oder sogar töten.
Das ist eine normale Verhaltensweise. Das Leben im Freiland ist für Delphine kein Zuckerschlecken.
http://scienceblogs.de/meertext/2014/01/12/delphin-verhaltensforschung-2-von-schwammtauchern-und-kindsmoerdern/
Delphinhaltung an anderen Orten und zu anderen Zeiten ist sicherlich weniger gut, aber man muss jeweils den Einzelfall beurteilen.
Die Tierschutzextremisten sagen auch an keine Stelle, was ihr Ziel ist:
Würde die Delphinhaltung in Deutschland verboten, was würde dann mit den Tieren passieren?
Würden sie getötet oder verkauft?
Auswildern kann man sie nicht, die meisten sind Nachzuchten aus Zoos.
Und sie verkennen den Wert eines Delphins im Zoo: Er ist ein Meeresbotschafter und arbeitet jeden Tag für den Schutz der frei lebenden Wale und den Ozeanschutz. Die didaktisch aufbereiteten Programme der deutschen Delphinarien greifen genau diese Themen auf. Und zumindest ein Teil der Besucher wird so für diese Themen sensibilisiert.
Vielen Dank für Ihre Einschätzung, die ich voll und ganz teile!
Delfine werden nicht nur von Seelowen zerkratzt (eher selten) sonden in aller Regel von ihren Artgenossen. Diese sogenannten „Rake-Marks“ (viele parallele Kratzer) findet man bei allen Großen Tümmlern, aber auch bei Orcas und anderen Zahnwalen; deren Fehlen ist ein sicheres Zeichen dafür, dass das Tier schon längere Zeit keinen Kontakt mehr zu Artgenossen hatte.
Von sogenannten Delfinschützern werden diese „Rake-Marks“ gerne als Zeichen gedeutet, dass Tiere „gemobbt“ würden – das Gegenteil ist der Fall: Solange diese Schrammen nicht überhand nehmen, sind sie ein Zeichen dafür, dass in dem Pod alles in Ordnung ist. Das Fehlen (oder zu wenige Kratzer) würde bedeuten, dass ein Tier den Rest der Gruppe konsequent meidet, bzw. gemieden wird.
Im Übrigen sind Delfine in Delfinarien eher wenig verschrammt, da es durch vernünftiges Gruppenmanagement inzwischen möglich ist, relativ harmonische Gruppen zu bilden. Wer beim Whale-Watching einmal genau hinsieht, wird erschrocken sein, wie stark wild lebende Tiere oftmals mit Rake-Marks übersät sind. Die Delfinkuh (samt Kalb) die ich im Frühjahr beim Whale-Watching auf Teneriffa beobachten durfte, hätte in einem Delfinarium mit Sicherheit eine Welle der Empörung ausgelöst. Laut der anwesenden Wissenschaftler des EAAM (von denen etliche an wilden Populationen forschen), war sie aber für ein wild lebendes Tier keineswegs auffällig.
Im Freiwasser sind halt keine Tierpfleger zur Stelle, um Kämpfe und Rangeleien zu schlichten, oder Streihähne in anderen Anlagen unterzubringen. So, wie in Nürnberg mit Arni geschehen – der hat jetzt seine eigenen Kühe und braucht sich nicht mehr mit Moby und Noah zu fetzen – was er ohnehin weder durfte, noch konnte – dank des absperrbaren Mehr-Becken-Systems der Lagune.
Vielen Dank für deine Ergänzungen zu den „Rake-Marks“, Norbert! Deine Beiträge sind immer eine große Bereicherung für die MEERESAKROBATEN! Schade, dass du letztes Wochenende nicht dabei warst …