Ein sprachliches Problem
Das sprachliche Problem konzentriert sich im Wesentlichen in der Formulierung „gut gehen“. Wie schon beschrieben, kann sich dies auf Wohlbefinden als auch auf Wohlergehen beziehen, weil in der Alltagssprache „gut gehen“ für beides gebraucht wird.
Die Formulierung ist also unpräzise und schwer zu fassen, weil im Alltag sprachlich kein Unterschied gemacht wird zwischen „gut ergehen“ und „sich selbst gut befinden.“ Beides wird alltagssprachlich mit „gut gehen“ ausgedrückt.
Klar: Alltagssprache ist vor allem zur schnellen Informationsübermittlung gut, ist aber unpräzise – gerade, wenn über die Verwendung der Formen keine Konvention herrscht oder diese vieldeutig sind.
Die Form „gut gehen“ auch im Alltag zu benutzen, ist kein Fehler, sondern einfach nur eine unpräzise Form. In einer ordentlichen und sachlichen Diskussion, die auf einer professionellen Ebene geführt werden soll, ist „gut gehen“ dann aber keine sinnvolle Wahl mehr, weil die Formulierung einfach nicht aus sich selbst genau ausdrückt, worum es geht.
Wenn beispielsweise ein Delfinhalter sagt: „Unseren Tieren geht es gut“, dann hat er recht, wenn er seine Behauptung auf das Wohlergehen bezieht und Fakten vorzuzeigen hat.
Wenn dahingegen ein Delfinariengegner sagt: „Den Tieren geht es nicht gut“, dann hat er unrecht, wenn er es in Bezug auf Wohlbefinden sagt, weil er das gar nicht ermessen kann und er hat ebenso unrecht, wenn er das in Bezug auf Wohlergehen sagt und seine These nicht objektiv untermauern kann.
Wohlbefinden und Wohlergehen in der Tierhaltung
Wir haben festgestellt, dass wir in Bezug auf Wohlbefinden nicht einmal unser menschliches Gegenüber, also ein uns sehr ähnliches Lebewesen, hundertprozentig beurteilen können. Wie vermessen wäre es dann, zu behaupten, man könnte das Wohlbefinden von einem tierischen Gegenüber hundertprozentig beurteilen, das ja auch ziemlich anders „gebaut“ ist? Das wäre schon ziemlich vermessen.
Wie kann man das Wohlergehen eines Tieres feststellen?
In Bezug auf Wohlergehen sieht das ganz anders aus. Hier gibt es ganz klare Fragen, mit denen man Fakten schaffen kann:
* Bekommt ein Tier genug Futter?
* Hat es genug möglichen Aktionsraum?
* Lebt es in einer tiergerechten Haltungssituation?
… Und viele weitere Fragen können gestellt und beantwortet werden. Zudem wirkt sich Wohlergehen auch körperlich messbar aus. Das bedeutet, man kann Fakten sammeln und dann Wohlergehen feststellen. So wird Wohlergehen eine objektive Größe und zur einzig entscheidenden, wenn es um die objektive Beurteilung von Tierhaltung geht.
Wohlbefinden kann man nicht messen, höchstens – zumindest grob – ermessen. Bei Wohlergehen, gibt es hundert Prozent, bei Wohlbefinden nie.
Kann man denn dann noch sagen, dass es den Tieren gut geht?
Ja, natürlich kann man das sagen. Man muss es eben nur präzise ausdrücken oder die Aussage im Zusammenhang so behandeln, dass klar wird, worauf diese Aussage abzielt – ob aufs Wohlergehen oder aufs Wohlbefinden. Sonst redet man aneinander vorbei.
Man kann sich ewig streiten, wenn man sagt: „Meinem Tier geht es gut.“ – „Nein, deinem Tier geht es nicht gut.“ – „Falsch, meinem Tier geht es gut.“ – „Überhaupt nicht!“ – „Voll wohl!“ … Man merkt, das bringt einen nicht weiter – gerade, wenn der eine über Wohlbefinden redet und der andere über Wohlergehen.
Wohlbefinden ist, wie gesagt, keine Größe, die man messen kann und somit ist es völlig sinnlos, darüber zu diskutieren. Man wird nie eine hundertprozentige Sicherheit über Wohlbefinden erlangen.
Über Wohlergehen allerdings kann man Gewissheit erlangen – und zwar zu hundert Prozent und objektiv feststellbar. Sprachlich allerdings gibt es – grade in der Alltagssprache – keine wirkliche Möglichkeit, präziser zu werden, ohne gleichzeitig auch länger zu formulieren. Deshalb wird „gut gehen“ immer ein Zankapfel bleiben.
Hier geht es zur nächsten Seite.
Ich gebe Herrn Kroiß völlig Recht, wenn er behauptet das wir das Wohlbefinden der Tiere nicht beurteilen können. Die Frage, die sich aber dabei stellt, ist, warum wir es nicht können? Vielleicht, weil wir Ihre Sparche nicht verstehen? Vielleicht, weil wir die Zeichen für Wohlbefinden nicht richtig deuten können? Vielleicht ja auch nur, weil wir zu dumm sind es zu verstehen.
Ich finde den Beitrag insgesamt schlecht. Da saugt sich meine 12-jährige Nichte mehr philosophische Gedanken aus Ihrem noch jungen Hirn, als Herr Kroiß.
Es ist schade, dass Sie nicht ohne ausfallende Worte auskommen, Herr Siewert. Trotzdem möchte ich auf Ihren Diskussionsbeitrag antworten.
Im Artikel von Philipp erfährt man, dass es nicht Dummheit ist, wenn man das Wohlbefinden eines Gegenübers – auch eines menschlichen Gegenübers – nicht zu hundert Prozent beurteilen kann. Selbst nahe Angehörige wissen nicht zu hundert Prozent, wie es im Innern des Nächsten aussieht.
Mit Interpretationen – ob es einem Tier „gut geht“ oder nicht – muss man vorsichtig sein, da man damit meist sein eigenes Befinden und seine eigene Sicht der Dinge auf den anderen projiziert. Ein „traurig dreinbblickender“ Hund löst bei manchen sofort Mitleid aus, obwohl die Mimik rassebedingt gar nichts über das Befinden des Tieres aussagt. Daher wird bei Tieren ja auch zwischen nicht messbarem Wohlbefinden und messbarem Wohlergehen unterschieden.
Es geht bei diesem Artikel nicht um Philosophie, sondern um messbares Wissen. Nur was man nachweisen kann, kann man in eine Argumentation einbringen, geschweige denn als Grundlage für Forderungen nutzen. Wie sich ein Tier tatsächlich fühlt, kann, wie Herr Siewert ganz richtig feststellt, niemand mit sicherheit wissen. Und deshalb ist es unseriös, diese Größe in eine Sachdiskussion einfließen zu lassen.
Selbst Leute, die tagtäglich mit Tieren zu tun haben, tun sich oft sehr schwer, das tatsächliche Befinden korrekt einzuschätzen, da Tiere oftmals ganz anders ticken, als wir uns das vorstellen.
Ein schönes Beispiel im Zusammenhang mit Delfinen wurde mir in Nürnberg geschildert. Dort sollte vor einiger Zeit (vor dem Einbau der Hebebühne) ein Delfin zwecks medizinischer Untersuchung für kurze Zeit aus dem Wasser gebracht werden. Die Delfindame hatte aber offensichtlich keine Lust dazu. So wurde sie schließlich von 16(!) Tierpflegern in die Enge getrieben und am Ende mit vereinten Kräften (250 kg sind auch nicht ohne) auf den Beckenrand gelegt.
Alle Beteiligten (einschließlich der Amtstierärztin) hatten Bedenken (und ein schlechtes Gewissen), wegen des offensichtlichen Stresses, den das Tier augenscheinlich erlitten hatte, so dass mehrere Speichel-Cortisolproben angeordnet wurden, um die Belastung des Delfins einschätzen zu können. Aus Jux gab auch ein Tierpfleger eine Cortisolprobe ab.
Als später das Ergebnis kam, war man dann doch ziemlich überrascht:
Der Tierpfleger war zwar (wie erwartet) mit seinem Cortisolpegel am Anschlag, der Delfin dagegen hatte einen entspannt-niedrigen Pegel. Entgegen des äußeren Anscheins hatte die graue Drama-Queen die ganze Aktion offenbar als gar nicht bedrohlich sondern als weitgehend stressfreies Spiel empfunden … „Toll – so viele Zweibeiner im Wasser, mit denen man spielen kann!“
Da ergibt sich noch ein andere Gedanke. Hätte das Tier die Situation tatsächlich als bedrohlich empfunden, wäre es doch mit 250kg Kampfgewicht, hartem Schnabel und in seinem Element, wo man als Mensch selbst in hüfthohem Wasser sehr eingeschränkt ist, in der Lage, sich den Weg freiboxen zu können, oder nicht?
Delfine stellen sich ziemlich dämlich an, wenn man ein paar Verhaltensmuster kennt. Zum Beispiel werden sie ein von der Wasseroberfläche bis zum Grund reichendes Netz nicht ohne Kommando überspringen – und das war wohl auch die Methode, die damals zum Einsatz kam.
Andere Tiere (z.B. Seelöwen) sind da weit kreativer, wenn es darum geht, den Tierpflegern das Leben schwer zu machen – oder einer gefühlten oder tatsächlichen Gefahrensituation zu entkommen.
Danke für deinen Kommentar, Dani. In Nürnberg habe ich die gleichen Beobachtungen gemacht wie du in Duisburg.
Vielleicht noch zur Präzisierung: Wenn die Delphine in Duisburg den ganzen Tag Spielverhalten zeigen, meint das nicht (primär) die Vorführungen. Am aufschlussreichsten ist es, das Delphinarium zwischen den Vorführungen zu besuchen – es ist durchgehend geöffnet und meisten kann man bis vor die Geländer an den Scheiben hinunter. Dann kann man nicht nur Spiel-, sondern auch Komfortverhalten wie Körperpflege und soziale Interaktion der Tiere beobachten. Ich vermute, in Nürnberg wird es sich nicht anders verhalten.