Ein professioneller Tierhalter kann das Wohlbefinden nicht ermessen
Im Bereich der professionellen, wissenschaftlich geführten Tierhaltung wird ausschließlich von Wohlergehen gesprochen, wenn man von „gut gehen“ redet, weil der professionelle Tierhalter genau weiß, dass er „Wohlbefinden“ nie ermessen kann.
Das wird dann zum Problem, wenn Laien anfangen, professionelle Tierhaltung zu kritisieren. Dann fließen Emotionen und Selbstprojektionen der Laien in die Beurteilung eines Tieres mit ein und die Kritiker sprechen plötzlich von Wohlbefinden und reden dann an denen, die von Wohlergehen sprechen, vorbei.
Wohlergehen wird garantiert
In den letzten Jahren betreiben Zoos da viel Aufklärung – gerade über dieses Thema, um eben solche Kommunikationsprobleme aus dem Weg zu schaffen. Sie geben ganz offen zu, dass sie selbst – und auch kein anderer Mensch – die Gefühle und Emotionen kennen können, aber das Wohlergehen der Tiere garantieren.
Auf der Ebene der Privathalter sieht es ja genauso aus: Das Wohlbefinden des „eigenen“ Tieres kann keiner ermessen, das Wohlergehen muss man allerdings garantieren. Somit ist Besonnenheit bei der Formulierung gefragt – und notfalls auch mal eine Nachfrage.
Beispiel: Spielverhalten
Im Duisburger Delfinarium zeigen die Delfine den ganzen Tag über Spielverhalten. Bei Meeressäugern ist das „Luxusverhalten“ – das bedeutet, sie zeigen es nur, wenn es ihnen gut geht.
Wie können wir das jetzt interpretieren? Wenn die Tiere ein solches Verhalten zeigen, können wir sagen, dass es ihnen gut ergeht (Stichwort: Wohlergehen).
Wir können aber noch mehr sagen: Das Zeigen solcher Luxusverhaltensweisen ist ein starker Hinweis darauf, dass sich das Tier wohl fühlt (Stichwort: Wohlbefinden). Natürlich können wir – wie gesagt – nie zu hundert Prozent feststellen, wie sich ein Gegenüber fühlt, aber wir können – wie ebenfalls bereits erwähnt – Hinweise auf Wohlbefinden „lesen“.
Kurz: Wir können hier Wohlergehen attestieren und starke Hinweise auf Wohlbefinden erkennen. Und das ist doch ein wahrlich gutes Zeichen. Viel Besseres kann man bei einer Tierhaltung nicht feststellen.
Fazit
Schließen möchte ich diesen Beitrag mit einem Zitat, das in diesem Zusammenhang wichtig ist, aber auch in jedem Zusammenhang, der mit Reflexion vom Menschen auf Tiere, ein Phänomen, dem sich häufig Laien verschreiben, zusammenhängt:
„Der Mensch versucht sich mithilfe der Einfühlung in die Tiere hineinzuversetzen. Allerdings ist diese Einfühlung immer illusionär. Denn natürlich wissen wir nicht einmal, was in einer anderen Person, also einer Nachbarin, einem Nachbarn, und erst recht nicht, was in einem Tier vorgeht. Zudem ist unsere Einfühlung niemals frei von unseren eigenen Fantasien und Wünschen. Sie ist ein Deutungsversuch, in dem wir allzu leicht unsere eigenen Absichten und Bedürfnisse zur Geltung bringen.
Denn die Frage, was fühlt der andere jetzt, ist doch eine Frage, die wir an uns selbst stellen. Was würde ich jetzt an seiner Stelle fühlen? Wir können gar nicht wissen, was ein Tier wirklich erlebt. Wir nehmen es so, als wäre es ein Mensch. Aber was wir für es fühlen, ist unser Gefühl und nicht seines.“
(Zitat von Prof. Dr. Jürgen Körner, Psychoanalytiker und ehemaliger Professor für Sozialpädagogik an der Freien Universität Berlin)
Lesetipps zum Thema
* Woran erkennt man, dass es einem Delfin gut geht?
* Aktuelles über Delfinschutz und Delfinhaltung (Seite 6)
* Stress bei Delfinen
* Wohlbefinden zeigt sich im Spielverhalten
Ich gebe Herrn Kroiß völlig Recht, wenn er behauptet das wir das Wohlbefinden der Tiere nicht beurteilen können. Die Frage, die sich aber dabei stellt, ist, warum wir es nicht können? Vielleicht, weil wir Ihre Sparche nicht verstehen? Vielleicht, weil wir die Zeichen für Wohlbefinden nicht richtig deuten können? Vielleicht ja auch nur, weil wir zu dumm sind es zu verstehen.
Ich finde den Beitrag insgesamt schlecht. Da saugt sich meine 12-jährige Nichte mehr philosophische Gedanken aus Ihrem noch jungen Hirn, als Herr Kroiß.
Es ist schade, dass Sie nicht ohne ausfallende Worte auskommen, Herr Siewert. Trotzdem möchte ich auf Ihren Diskussionsbeitrag antworten.
Im Artikel von Philipp erfährt man, dass es nicht Dummheit ist, wenn man das Wohlbefinden eines Gegenübers – auch eines menschlichen Gegenübers – nicht zu hundert Prozent beurteilen kann. Selbst nahe Angehörige wissen nicht zu hundert Prozent, wie es im Innern des Nächsten aussieht.
Mit Interpretationen – ob es einem Tier „gut geht“ oder nicht – muss man vorsichtig sein, da man damit meist sein eigenes Befinden und seine eigene Sicht der Dinge auf den anderen projiziert. Ein „traurig dreinbblickender“ Hund löst bei manchen sofort Mitleid aus, obwohl die Mimik rassebedingt gar nichts über das Befinden des Tieres aussagt. Daher wird bei Tieren ja auch zwischen nicht messbarem Wohlbefinden und messbarem Wohlergehen unterschieden.
Es geht bei diesem Artikel nicht um Philosophie, sondern um messbares Wissen. Nur was man nachweisen kann, kann man in eine Argumentation einbringen, geschweige denn als Grundlage für Forderungen nutzen. Wie sich ein Tier tatsächlich fühlt, kann, wie Herr Siewert ganz richtig feststellt, niemand mit sicherheit wissen. Und deshalb ist es unseriös, diese Größe in eine Sachdiskussion einfließen zu lassen.
Selbst Leute, die tagtäglich mit Tieren zu tun haben, tun sich oft sehr schwer, das tatsächliche Befinden korrekt einzuschätzen, da Tiere oftmals ganz anders ticken, als wir uns das vorstellen.
Ein schönes Beispiel im Zusammenhang mit Delfinen wurde mir in Nürnberg geschildert. Dort sollte vor einiger Zeit (vor dem Einbau der Hebebühne) ein Delfin zwecks medizinischer Untersuchung für kurze Zeit aus dem Wasser gebracht werden. Die Delfindame hatte aber offensichtlich keine Lust dazu. So wurde sie schließlich von 16(!) Tierpflegern in die Enge getrieben und am Ende mit vereinten Kräften (250 kg sind auch nicht ohne) auf den Beckenrand gelegt.
Alle Beteiligten (einschließlich der Amtstierärztin) hatten Bedenken (und ein schlechtes Gewissen), wegen des offensichtlichen Stresses, den das Tier augenscheinlich erlitten hatte, so dass mehrere Speichel-Cortisolproben angeordnet wurden, um die Belastung des Delfins einschätzen zu können. Aus Jux gab auch ein Tierpfleger eine Cortisolprobe ab.
Als später das Ergebnis kam, war man dann doch ziemlich überrascht:
Der Tierpfleger war zwar (wie erwartet) mit seinem Cortisolpegel am Anschlag, der Delfin dagegen hatte einen entspannt-niedrigen Pegel. Entgegen des äußeren Anscheins hatte die graue Drama-Queen die ganze Aktion offenbar als gar nicht bedrohlich sondern als weitgehend stressfreies Spiel empfunden … „Toll – so viele Zweibeiner im Wasser, mit denen man spielen kann!“
Da ergibt sich noch ein andere Gedanke. Hätte das Tier die Situation tatsächlich als bedrohlich empfunden, wäre es doch mit 250kg Kampfgewicht, hartem Schnabel und in seinem Element, wo man als Mensch selbst in hüfthohem Wasser sehr eingeschränkt ist, in der Lage, sich den Weg freiboxen zu können, oder nicht?
Delfine stellen sich ziemlich dämlich an, wenn man ein paar Verhaltensmuster kennt. Zum Beispiel werden sie ein von der Wasseroberfläche bis zum Grund reichendes Netz nicht ohne Kommando überspringen – und das war wohl auch die Methode, die damals zum Einsatz kam.
Andere Tiere (z.B. Seelöwen) sind da weit kreativer, wenn es darum geht, den Tierpflegern das Leben schwer zu machen – oder einer gefühlten oder tatsächlichen Gefahrensituation zu entkommen.
Danke für deinen Kommentar, Dani. In Nürnberg habe ich die gleichen Beobachtungen gemacht wie du in Duisburg.
Vielleicht noch zur Präzisierung: Wenn die Delphine in Duisburg den ganzen Tag Spielverhalten zeigen, meint das nicht (primär) die Vorführungen. Am aufschlussreichsten ist es, das Delphinarium zwischen den Vorführungen zu besuchen – es ist durchgehend geöffnet und meisten kann man bis vor die Geländer an den Scheiben hinunter. Dann kann man nicht nur Spiel-, sondern auch Komfortverhalten wie Körperpflege und soziale Interaktion der Tiere beobachten. Ich vermute, in Nürnberg wird es sich nicht anders verhalten.