Serie von Benjamin Schulz, Teil 10
14. September 2015
Problem der Überfüllung
Sanctuaries können nur Übergangslösungen sein.
Das endgültige Ziel muss die Auswilderung sein. Und genau dort hakt es bei allen Konzepten der Delfinhaltungsgegner gewaltig. Ohne Auswilderung machen Sanctuaries aber gar keinen Sinn und stehen schnell vor genau demselben Problem der Delfinarien: Überfüllung.
Die Konzepte von Tierrechtsgruppen, egal ob es nun das Sanctuary im Pazifik für Orcas ist oder das Dolphin-Care-Projekt von deutschen Gruppen am Roten Meer, basieren alle nur auf dem romantisch verklärten Bild, diese Tiere in ihre „Heimat“ zurückzubringen und aus den Klauen der „bösen Delfinarienmafia“ zu befreien.
Doch das Versprechen, das sie geben, nämlich den Tieren mehr Wohlbefinden zu verschaffen, halten sie nicht. Denn dazu sind Sanctuaries gar nicht in der Lage.
Wie sollen Tiere gesund und fit gehalten werden?
Im Gegenteil: Ein Umzug von Delfinariumstieren in Meeresbuchten wird Verluste fordern. Und auch nach einer Anpassungsphase wird es den Tieren dort nicht besser gehen. Krankheitserreger, Umweltverschmutzung und Lärm werden die Tiere unter Stress setzen, die Sterblichkeitsrate bei Jungtieren wird erwartungsgemäß höher sein.
Nur unter bester medizinischer Betreuung wird es überhaupt möglich sein, diese Tiere gesund und fit zu erhalten. Und diese Expertise haben nur die Delfinarien, nicht aber die Aktivisten.
Tierschützer befürworten Anlage, in der es hohe Jungtiersterblichkeit gibt …
Letztere nämlich disqualifizieren sich schon im Rahmen von Vorarbeiten zu den Projekten. Da werden in einem Fotoalbum von ProWal den Unterstützern Aufnahmen von Öltankern, Raffinerien, Ausflugsdampfern und Motorbooten gezeigt. Alle in direkter Nachbarschaft zum Dolphin Reef in Israel. Das jedoch wird von den Aktivisten als Vorbild gebracht für ihr eigenes Projekt am Roten Meer.
Kritik zu den Punkten sucht man deshalb vergeblich.
Auch liest man hier nichts von der hohen Jungtiersterblichkeit in dieser verschmutzten Bucht: 75 %. Das ist weitaus höher als sonst in der Natur. Die meisten dieser Jungtiere starben übrigens nicht direkt nach der Geburt, sondern alle im Alter von wenigen Jahren. Genau dann also, wenn ständige Verschmutzungen, Chemikalien sowie Stress bereits die Organe unrettbar geschädigt haben.
Ein sehr schlechtes Zeichen für jegliche betreute Bucht im Roten Meer. Denn mit der Erweiterung des Suezkanals wird der industrielle Schiffsverkehr nochmal stark ansteigen.
Auf der nächsten Seite geht es um selbsternannte Freiheitsaktivisten, die ihre Anhänger abkassieren.
Meine Meinung zu den angesprochenen „Sea-Pen-Sanctuaries“ ist sehr durchwachsen, um nicht zu sagen „eher ablehnend“. Klar, ist das die „natürlichste“ Umgebung, die man domestizierten Delfinen bieten kann. Andererseits kann man solche Gehege nur an recht wenigen Orten einrichten (Wasser- und Lufttemperaturen im Winter) – im Wesentlichen nämlich in der Karibik und in Teilen des Mittelmeeres – wobei Letzteres schon wieder das Problem mit der „falschen“ Delfin-Unterart hat. Zudem bin ich mir alles andere als sicher, ob ein Delfinarien-gewöhnter Delfin wirklich so wild auf mehr oder weniger dreckiges Wasser, Parasiten, nervige Möven und ungefiltertes Wetter ist.
In der Realität kämpfen praktisch alle bestehenden „Sea-Pen-Sanctuaries“ regelmäßig mit Stürmen, die an Meeresküsten bekanntlich eine immense Wucht entwickeln können und nicht selten dazu führen, dass die Delfine in ihren Gehegen jämmerlich ertrinken oder von einlaufenden Brechern auf Land oder gegen Mauern gespült und verletzt werden.
Einzelne Meeresgehege in der Karibik sind sogar dazu übergegangen, bei heraufziehenden Stürmen ihre Delfine mit Sendern auszustatten und auf das offene Meer hinaus zu treiben (nein, das tun die ganz und gar nicht freiwillig!), in der Hoffnung, dass sie dort eine bessere Überlebenschance haben (was offenbar der Fall ist). Dennoch bedeutet ein Orkan in solchen Gehegen fast jedes mal auch tote, vermisste (ein Sender, der zusammen mit dem toten Tier tief genug absinkt, kann nicht mehr mit vertretbarem Aufwand geortet werden), und verletzte Delfine.
Natürlich kann man die „Sea-Pen-Sanctuaries“ zumindest theoretisch in geschützen Buchten und Lagunen anlegen (was bei einem ausgewachsenen Hurrican auch nicht viel bringt), aber da liegen die noch verfügbaren Grundstücke bereits jetzt praktisch bei Null – oder sie liegen in unmittelbarer Nähe großer Hafen- und Industrieanlagen.
Ich befürchte, dass ordentlich gebaute und geführte Inlands-Delfinarien am Ende doch die beste Lösung sind. Denn offenbar haben die Großen Tümmler die merkwürdige Eigenheit, dass eine Domestizierung zwar recht schnell und einfach vonstatten geht, aber letztlich nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Und ich wüsste am Ende auch keinen Grund, der gegen weitere Delfinarien spricht, wenn diese im Großen und Ganzen der jeweiligen „Best practice“ genügen und durchweg mit Nachzuchten ausgestattet werden können. Vermutlich wird man aber auf Dauer auch nicht um eine Begrenzung der Nachkommenszahlen durch Medikamente („Pille“) herumkommen.
Ich sehe da aber vorher noch die durchaus attraktive Möglichkeit, die Zahl der Wildfänge dadurch gegen Null zu reduzieren, dass man den Markt für Delfine mit einer hohen Zahl von legalen Nachzuchten für andere „Anbieter“ (Taiji, Salomonen) unattraktiv macht und damit zumindest eine wichtige Einnahmequelle solcher Jagden abgräbt.
Bei weniger im öffentluchen Fokus stehenden Tierarten (z.B. Papageien) hat man diese Möglichkeit bereits wiederholt und letztlich sehr erfolgreich durchexerziert – ob das auch bei Delfinen funktionieren kann, ist schwer zu sagen – auf jeden Fall verlieren solche Unternehmungen ihre wichtigsten Unterstützer, wenn niemand mehr an deren Lebenfängen interessiert ist.
Die Färöer-Inseln sind da leider nochmal ein ganz anderer Fall. Die werden vermutlich erst dann mit ihren sinnlosen Abschlachtorgien aufhören, wenn die Grindwale rund um die Inseln ausgerottet sind. Tradition eben …
Das „Dolphin Care“-Projekt am Roten Meer ist allein schon deshalb ein gefährlicher Unsinn, weil im Roten Meer eine andere Unterart des Großen Tümmlers (der kleinere indopazifische Große Tümmler ca. 120 kg) lebt, als in den Delfinarien (Karibischer Großer Tümmler, ca. 250 – 300 kg).
Die Tiere aus den Delfinarien haben im Roten Meer schlicht nichts zu suchen. Würde das Gehege aus irgendeinem Grund zerstört (und die Delfine tatsächlich auswildern), könnten sie bei der endemischen Population immensen Schaden anrichten, da sie den dort lebenden Tümmlern körperlich weit überlegen sind. Umgekehrt sind die Delfine aus den Delfinarien nicht mit den dort lebenden Gifttieren vertraut (Rotfeuerfisch, Stechrochen u.A.) und würden – so sie nicht mangels Jagderfahrung verhungern – höchstwahrscheinlich an Vergiftungen und Stichen sterben.
An eine Auswilderung in diesem Gebiet braucht man erst gar nicht zu denken.
Aber solche Details scheinen die selbsternannten „Experten“ ja nicht weiter zu stören.