Serie von Benjamin Schulz, Teil 12
1. Februar 2016 (14 Kommentare)
Hallo, liebe MEERESAKROBATEN-Fans!
Eines der spannendsten Themen im Bereich der Physiologie von Delfinen und Walen ist sicherlich der Schlaf.
Delfine können nur schlummern
Als Säugetiere, die im Wasser leben, aber auch immer noch regelmäßig atmen müssen, ist der Schlaf eine riskante Angelegenheit. Delfine können also nicht vollständig „wegnicken“, sondern höchstens etwas schlummern.
Damit dies bei gleichzeitiger Funktionsfähigkeit des Körpers geschehen kann, schlafen die beiden Gehirnhälften eines Delfins nie gleichzeitig, sondern im Wechsel. Dies wiederum kann zu jeder Tages- und Nachtzeit geschehen. Oft schlafen Delfine nur ein paar Minuten, das allerdings über den ganzen Tag verteilt.
Was machen Delfine nachts?
So ähnlich habe ich das auch vielen Besuchern erklärt. Einer von diesen stellte eine weitere Frage: „Wenn Delfine also über den Tag verteilt schlafen, was machen sie dann nachts?“. Und genau damit möchte ich mich dieses Mal genauer befassen!
Natürlich ist es ausgesprochen schwierig, genaue Daten zum Nachtleben der Delfine zu erfassen. In der Wildbahn natürlich sowieso, aber auch in den Delfinarien. Nachts ist es nun einmal dunkel (siehe Foto), und wenn Forscher zu Beobachtungszwecken Licht in die Nacht bringen, kann man nicht mehr ausschließen, dass sich das Verhalten der Tiere bereits dadurch ändert.
Fleckendelfine gehen nachts auf die Jagd
Dementsprechend gibt es dazu nur wenige Studien. Von Atlantischen Fleckendelfinen (auch Zügeldelfine genannt) ist bekannt, dass sie nachts oft tief tauchen und die dann aktiven Kalmare jagen.
Von Überwachungen von Tieren, die man mit Sendern ausgestattet hat, kann man erkennen, dass sie auch nachts unterwegs sind, aber meist in deutlich kleinerem Umkreis als tagsüber.
Manche Delfingruppen dagegen bevorzugen den Schutz flacher Lagunen oder Buchten in der Nacht.
Das nächtliche Verhalten ist also sehr abhängig von der restlichen Lebensweise der jeweiligen Arten und sogar Gruppen. Folgen sie nachtaktiven Beutetieren, ruhen sie mehr tagsüber. Brauchen sie Tageslicht, um zu jagen, ruhen sie eher in der Nacht.
Nächtliche Ruhephase in den Delfinarien
In den Delfinarien gilt diese Regel ebenso. Dort hat sich die Lebensweise der Tiere allerdings durch den Einfluss des Menschen verändert. Tagsüber sind die Pfleger anwesend, die Tiere werden beschäftigt und Besucher kommen in die Parks. Nahrung wird bei Tageslicht zu sich genommen.
Nachts sind die Delfine dann unter sich. Die Ruhephase beginnt dann meist direkt nach dem letzten Programm des Tages, bei dem die Pfleger mit den Tieren interagieren.
Bei vielen Nachtschichten konnte ich das Ruheverhalten der Tiere gut beobachten. Denn bis auf Mütter mit ihren Neugeborenen, die rund um die Uhr aktiv sind und nur kurz und selten ausruhen, begibt sich die restliche Gruppe noch vor Sonnenuntergang in einen Entspannungszustand.
Die Tiere lassen sich treiben
Die ersten Halbschlafphasen beginnen nun, und die Tiere lassen sich treiben und suchen oft einen seichten Platz. Als Bezugspunkt nehmen sie gerne einen fixen Standort und ein paar Artgenossen in der Umgebung. So schlafen die Delfine in die Nacht hinein.
Delfine sind Frühaufsteher
Aber Delfine sind auch Frühaufsteher. Denn schon direkt nach dem dunkelsten Zeitpunkt der Nacht, wenn es für uns Menschen noch unwahrnehmbar heller wird, also auch schon zwischen 3 und 4 Uhr am Morgen, beginnen die Delfine mit Aktivitäten.
Die Atemfrequenz erhöht sich und man hört, wie das Wasser wieder bewegt wird.
Der frühe Tag beinhaltet vor allem Spielverhalten. Die Bälle und Bojen, die schon am Abend von den Pflegern ins Wasser geworfen wurden, erfahren jetzt die größte Aufmerksamkeit.
Paarungen zu früher Stunde
Kurz nach Sonnenaufgang erreicht die Aktivität der Delfine einen Höhepunkt (oder auch mehrere), denn zwischen 5 Uhr und 8 Uhr morgens, so wurde bei mehreren Studien übereinstimmend festgestellt, beginnt eine Zeit, in der sich Delfine gerne paaren.
Die sexuelle Aktivität, die bei Delfinen weit mehr als der Fortpflanzung dient, konzentriert sich auf diese Zeit am frühen Morgen. Bis zu 15 Paarungen pro Tier sind dann durchaus normal, und jeder in der Gruppe kommt mal an die Reihe.
Kein Wunder also, dass Delfine überhaupt keine Morgenmuffel sind und uns Pfleger dann wieder freudig begrüßen! Und natürlich Hunger haben…
In diesem Sinne, einen schönen Tag und eine gute Nacht!
Euer Benjamin
Zu den Teilen 1 bis 11 meines BIOLOGEN-BLOGS geht es hier.
Hallo liebe Meeresakrobaten,
toll, dass es hier so einen regen Austausch gibt. Das Thema scheint doch mehrere von uns zu beschäftigen.
Zur Evolution der Überkreuzung im Gehirn habe ich zumindest eine Theorie gefunden:
http://www.uni-muenster.de/news/view.php?cmdid=4566
Vielen Dank für den interessanten Link, Oliver!
Noch ein interessanter Beitrag zum Delfin-Schlafmodus.
Genauso wie beim Menschen hat das Gehirn des Delfins einen Balken (corpus callosum), der die rechte und die linke Gehirnhälfte miteinander verbindet. Wenn ein Delfin schläft, dringt jedoch keine Information von der rechten zur linken Gehirnhälfte und umgekehrt. Das funktioniert offenbar nur im Wachmodus. Also scheint das Delfin-Gehirn im Halbschlaf-Modus wie zwei voneinander getrennte Gehirne zu arbeiten.
Bei Pferden scheint der corpus callosum – obwohl vorhanden – gar nicht aktiv zu sein. Beide Gehirnhälften führen ein Eigenleben. Mehr dazu in folgendem Beitrag:
http://mb-soft.com/public/brain.html
Genau darauf basiert meine Fragestellung: Wenn im Halbseitenschlaf im Delfinhirn beide Hirnhälften autonom sämtliche Funktionen ausführen bzw. kontrollieren können, müssen alle Funktionen doppelt angelegt sein – was bei einem Säugetierhirn vermutlich auch zusätzlichen Platz – sprich Hirnmasse – erfodert.
Wie das bei Vögeln aussieht und wie bei denen die Funktionen im Gehirn verteilt sind, weiß ich nicht, aber meines Wissens ist deren Hirn komplett anders (und auf den ersten Blick sehr viel simpler) aufgebaut und funzt wohl grundlegend anderes als Säugetierhirne.
Also nochmal die Frage an mitlesende Wissenschaftler: Gibt es schon Veröffentlichungen zu diesem Thema? Gibt es Hinweise, dass das ungewöhnlich große Hirn (das aus Delfinen eben nicht unbedingt die hellste Leuchte macht) im Zusammenhang mit der Fähigkeit zum Halbseitenschlaf steht?
Ja, es gibt Hinweise darauf, dass zumindest die schiere Größe des Delfingehirns mit den doppelt angelegten Funktionen zusammenhängt. Das bezieht sich allerdings nicht auf die komplexe Struktur der Großhirnrinde. Ich halte mich aus Spekulationen um die Intelligenz von Delfinen in diesem Fall heraus, weil ich überzeugt bin, man kann dies nicht durch anatomische Untersuchungen klären.
Hallo Susanne,
widerspricht diese Info, dass die Hirnhälfen beim Schlaf keinen Austausch zeigen, nicht der Beobachtung, dass jeweils das Auge geschlossen ist, das der aktiven Hirnhälfte gegenüber liegt?
Ich bin etwas verwirrt
Das habe ich mich auch schon gefragt, Oliver. Doch die hier zusammengetragenen Studien (siehe jeweils die von mir angegebenen Links) lassen diesen „Widerspruch“ zu. Die Wissenschaftler haben hier noch eine Menge Arbeit zu leisten.
Zumindest bei allen Säugetieren (einschließlich Mensch) sind die Gehirnregionen gegenüber den angeschlossenen Organen (einschließlich Augen und Gehör) grundsätzlich überkreuz angelegt.
Wenn beispielsweise bei einem Schlaganfallpatient die linke Seite gelähmt ist (wie bei meinem inzwischen verstorbenen Vater), findet man die geschädigte Hirnregion immer auf der rechten Seite.
Von daher ist diese Beobachtung bei Delfinen keineswegs überraschend.
Warum das so ist, und welche evolutionsbiologischen Vorteile dies bringen könnte, ist mir jedoch nicht bekannt.
Noch ein Nachtrag zu Norberts interessanter Frage. In folgendem Artikel über den sogenannten „unihemispheric slow-wave sleep“ habe ich gefunden, dass das Gehirn der Delfine im Halbschlafmodus ähnlich „über Kreuz“ arbeitet, wie wir es von der Anatomie des Menschen her kennen. Will sagen: Wenn der linke Teil des Gehirns schläft, ist das rechte Auge des Delfins geschlossen und umgekehrt. Von einer doppelt angelegten Gehirnfunktion ist nicht die Rede.
http://www.livescience.com/44822-how-do-dolphins-sleep.html
Und hier noch ein Wikipedia-Artikel um USWS.
https://en.wikipedia.org/wiki/Unihemispheric_slow-wave_sleep
Hallo Norbert, noch einmal zu den Piepmätzen: Sie schlafen sogar, wenn sie fliegen, sind dann also alles andere als inaktiv. In dem von mir dazu gefundenen Artikel heißt es: “ Bisher war die Verknüpfung von Bewegung und Schlaf den Angaben zufolge nur von Meerestieren wie Delfinen bekannt.“ Das lässt vielleicht den Schluss zu, dass es gar keinen Zusammenhang zwischen dem großen Gehirn der Delfine und ihrer Fähigkeit, in einen Halbschlaf zu versinken, geben muss.
Und hier noch der Link http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/fliegen-ohne-pause-europaeischer-alpensegler-bliebt-lange-zeit-in-luft-a-926706.html
Falls ich doch noch etwas dazu über Delfine finden sollte, lasse ich dich das natürlich wissen.
Gibt es eigentlich Untersuchungen, ob das ungewöhnlich große Gehirn der Delfine im Zusammenhang mit der Fähigkeit zum Halbseitenschlaf steht?
Damit dieser funktionieren kann, muss bei Delfinen ja jede Gehrinfunktion doppelt angelegt sein, während bei „normal“ schlafenden Säugetieren praktisch alle Funktionen immer nur in einer Gehirnhälfte angelegt sind.
Gibt es dazu schon Untersuchungen?
Hallo Norbert, auch andere Tiere schlafen nur mit einer Gehirnhälfte. Zum Beispiel Vögel. Dazu gibt es eine gute Beschreibung in der SZ: http://www.sueddeutsche.de/wissen/voegel-schlafen-mit-einer-hirnhaelfte-1.517920
Bei Zwergdrosseln hat man die Gehirnströme gemessen. Zitat: „Wenn sie einmal in einen einseitigen Schlaf gefallen waren, ähnelte die Hirnaktivität der Vögel stark jener, die bei Säugetieren gemessen wird, wenn diese tief und traumlos schlafen. Allerdings konnten die Forscher dies nur für die ruhende Hirnhälfte feststellen – die andere Seite war so aktiv wie bei wachen Vögeln.“
Danke für den Link! Sehr interessant. Allerdings handelt es sich dabei um Vogelhirne – die sind aber wissenschaftlich sowieso eine verdammt harte Nuss: Obwohl die Großhirnrinde praktisch komplett fehlt, sind die Federbälle sogar manchen Primaten (komplexeste Großhirnrinde im Tierreich) ebenbürtig. Für das „wie machen die das?“ gibt’s sicher noch einen Nobelpreis abzustauben.
Außerdem bleiben Vögel im Schlaf körperlich weitgehend inaktiv bzw. beschränken sich auf wenige Grundfunktionen (z.B. „nicht-vom-Ast-fallen“). Auch die Atmung funktioniert wohl über einen Reflex.
Delfine bleiben in ihrem Halbseitenschlaf dagegen körperlich voll funktionsfähig und können sogar fressen, aktiv mit ihrem Sonar arbeiten und (einfach zu fangende) Beute jagen. Lediglich ein Auge bleibt geschlossen und die Koordination und Reaktionsgeschwindigkeit ist sichtbar eingeschränkt – für die üblichen Delfinarienkunststücke langt’s aber allemal (Aussage eines Tierpflegers in Nürnberg, der schon Präsentationen mit halbschlafenden Delfinen erlebt hat).
Von daher beantwortet der verlinkte Artikel meine eigentliche Frage nicht wirklich!
Sehr interessant! Genau die im Text beantworteten Fragen habe ich mir immer wieder mal gestellt. Danke :-)