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Die Sache mit den Zähnen der Orcas


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Gastbeitrag von Philipp J. Kroiß, 10. September 2016

Morgans Zähne

Orca-Zunge (Foto: Rüdiger Hengl)

Orca-Zunge und Zähne
(Foto: Rüdiger Hengl)

Tatsächlich hat Morgan keine makellose Zahnreihe, aber ihr Gebiss ist sicherlich nicht schlechter, als es bei vielen wilden Artgenossen zu erwarten wäre.

Zudem war Morgan ja auch durch das Hungerleiden im Wattenmeer, aus dem sie gerettet wurde, schwer gezeichnet.

Dass sich starke, vorübergehende Unterernährung, von der man nicht genau weiß, wie lange sie vorhielt, nicht gut auf Zähne auswirkt, sollte offensichtlich sein. Also: Grund zur Besorgnis, wenn man die Fakten kennt? Nein!

Vier Kategorien bei der Einstufung der Zähne

Bei den anderen Orcas, mit denen Morgan zusammenlebt, sehen die Zähne vergleichbar aus. Es gab sogar eine Initiative, die die Zähne von Orcas in Menschenobhut klassifizierte, wie der Blog „Whales und Animal Welfare“ berichtete. Dabei wurde ähnlich vorgegangen wie bei der erwähnten Studie von Ford et al., 2011.

Es gab vier Kategorien, was den Zustand der Zähne betraf. Immerhin 25 von 45 getesteten Walen in Menschenobhut kamen in die beste Kategorie.

Wir sehen also, dass es sich hier ähnlich wie bei den „rake marks“ (das sind Narben, die von Revierkämpfen oder Spielereien der Delfine herrühren) verhält. In der Wildbahn sind diese Narben in Extremfällen sogar noch viel ausgeprägter, aber sie sind zumeist bei in Menschenobhut und im Ozean lebenden Tieren vergleichbar und nicht besorgniserregend.

Wohlergehen

Jetzt haben wir festgestellt, dass in Menschenobhut und in der Natur die Zähne der Tiere ganz natürliche, aufgrund der Art des Umgangs, Gebrauchsspuren zeigen.

Das ist erst einmal etwas rein Optisches. Nun müssen wir uns um den eigentlichen Kernpunkt der Diskussion kümmern, nämlich darum, was der Zustand der Zähne mit dem Wohlergehen der Tiere in der Haltung zu tun hat.

Orca-Zahn mit Karies-Befall (Foto: Günther Behrmann)

Rechts sieht man einen Orca-Zahn mit Karies-Befall.
(Foto: Günther Behrmann)

Macht es den Tieren also etwas aus, wenn die Zähne von ihnen selbst in Mitleidenschaft gezogen werden? Nein, dass sich ihre Zähne abnutzen, gehört zu ihrem Lebenszyklus – sowohl in der Natur, als auch in Menschenobhut – dazu.

Wann wird ein abgenutzter Zahn für einen Orca zum Problem?

Zum Problem wird er, wenn er sich entzündet oder, genereller ausgedrückt, von einer Krankheit befallen wird (siehe Bild rechts).

Für wilde Tiere ist das oft das Todesurteil, für Orcas in Menschenobhut nicht, denn dort kümmert sich, neben dem Trainer und Biologen, auch ein Team von tiermedizinischen Experten um ihr Wohlbefinden.

Das heißt, selbst wenn der schlimmste Fall eintritt, gibt es in Menschenobhut im Gegensatz zur Natur dank der modernen Tiermedizin Möglichkeiten der Heilung, wo ein Tier in der Wildbahn ein Wunder bräuchte.

Da aber die Zahnreihen der Orcas in Menschenobhut im Vergleich zu denen wilder Tiere zumeist nicht signifikant schlechter sind, ist das Eintreten eines solchen Krankheitsfalls auch nicht wesentlich höher als für wilde Tiere. In Orca-Haltungen sind allerdings die Heilungschancen bei einer solchen Erkrankung erhöht.

Zudem ist das Wasser in Delfinarien mit weniger Schadstoffen und Krankheitserregern belastet als im Meer.

Keine Todesfälle durch Zahnverschleiß

Wenn wir die Todesfälle von Orcas in Menschenobhut betrachten, kann niemand konstatieren, dass sich die Zahnsituation der Tiere je als signifikante Todesursache hervorgetan hat. Von einer Bedrohung durch den, wie gezeigt, auch in der Natur verbreiteten Zahnverschleiß für die Gesundheit oder das Wohlbefinden der Tiere in Menschenobhut, kann man also nicht sprechen.

Beeinträchtigt also eine „gebrauchte“ Zahnreihe das Wohlbefinden für Orcas? Nein!

Schädel eines Orcas (Foto: Susanne Gugeler)

Schädel eines Orcas
(Foto: Susanne Gugeler)

Schlussfolgerung

Was bleibt also übrig, wenn wir diese von Delfinariengegnern proklamierte „Problematik“ fertig durchgekaut haben? Kein Problem!

Wir haben erfahren, warum Orcas ihren Mundraum zum Erforschen nutzen: Sie haben eben keine Hände, mit denen man fühlen kann, also tun sie es mit Lippen, Zähnen und Zunge und ertasten sich so ihre Umgebung.

Das beansprucht den recht weichen Zahnschmelz der Tiere und deshalb entsteht Abnutzung. Das ist bei wilden Orcas nicht anders und ist auch erst einmal für die Tiere nicht wirklich ein Problem. Dass sich ihre Zähne abnutzen, gehört zu ihrem Lebenszyklus. Es ist normal, weil die Zähne nun mal gebraucht werden – bei residenten Fischfressern nicht nur als Greifwerkzeug, sondern auch als Tastwerkzeug.

Muss es uns also sorgen, wenn die Zähne bei adulten Tieren „gebraucht“ aussehen? Nein, es wäre fast schon ungewöhnlich, wenn sie es nicht täten!

Lesetipps

* Can orcas ever be healthy in captivity?
* Über die Orca-Haltung auf Teneriffa

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