Meeresakrobaten, 27. November 2016
Schweinswale …
… die kleinen Vettern der Delfine – so heißt ein im November 2016 erschienenes Fachbuch von Claudia Hangen, das ich hier vorstellen möchte.
Viele Bilder
Der 162 Seiten umfassende Band aus der Reihe „Special Interest“ ist mit vielen Bildern versehen und verständlich geschrieben. Er wendet sich also nicht nur an Biologen, sondern auch an interessierte Laien.
Besonders gut gefallen haben mir die grandiosen Unterwasser-Fotos und auch die Momentaufnahmen, welche Schweinswale beim Auftauchen oder Agieren mit Menschen zeigen. Als „normaler“ Beobachter bekommt man von den Meeressäugern sonst meist nur deren Rückenflosse zu sehen.
Große und kleine Schweinswale
Gleich am Beginn des Buches gibt es eine Doppelseite, auf der die Größenverhältnisse der verschiedenen Schweinswalarten im Vergleich zum Menschen aufzeigt werden.
Sowohl der kleinste Schweinswal – der Vaquita (oder Kalifornischer Schweinswal) – mit seinen 1,40 Metern als auch der größte Schweinswal, der Brillenschweinswal, der bis zu 2,20 Meter groß wird, sind abgebildet. Doch der Fokus des Buches liegt auf dem Gewöhnlichen Schweinswal, der in der Nord- und Ostsee vorkommt.
Auch ein anderer Vergleich gefällt mir sehr gut – nämlich der zwischen Delfin und Schweinswal. Die Unterschiede werden sowohl im Text als auch anhand von Fotos deutlich gemacht.
Wie alt werden Schweinswale?
Im Kapitel 2 (insgesamt ist das Buch in 13 Kapitel aufgeteilt) erfährt man, dass Schweinswale bis zu 20 Jahre alt werden können. Aber nur die wenigstens erreichen dieses Alter. „Denn es gibt viele Gefahren im Meer, denen die Tiere zum Opfer fallen können, sodass viele der Schweinswale nicht älter als zwei bis fünf Jahre werden.“ (Zitat, Seite 24)
Selbstverständlich werden auch die Bedrohungen, denen der kleine Wal ausgesetzt ist, aufgezählt und beschrieben (siehe weiter unten das Kapitel „Viele Gefahren“).
Schweinswale werden belauscht
Sehr interessant finde ich das Kapitel über die Schweinswal-Ortung in der Ostsee. Dort wird das Projekt SAMBAH (Static Accoustic Monitoring of the Baltic Sea Harbour Porpoise) vorgestellt. Mit sogenannten Schweinswal-Detektoren (Hydrophonen) werden die ausgestoßenen Laute der Wale registriert. Auf diese Weise lassen sich die Tiere einfacher zählen als mit visuellen Methoden, die vom Wetter und von der Jahreszeit abhängen.
Mithilfe der Hydrophone lassen sich die Meeressäuger aber nicht nur zählen, sondern beim Auswerten der Daten entdeckten die Forscher außerdem, dass – je nach Jahreszeit – verschiedene Populationen ein bestimmtes Gebiet besiedeln.
Auf die Frage, wie viele Schweinswale die Nord- und die Ostsee bevölkern, bekommt der Leser ebenfalls eine Antwort. „Es wird geschätzt, dass in der gesamten Nordsee zwischen 231.000 und 300.000 Individuen leben.“ (Seite 35)
In der Ostsee ist der Schweinswal-Bestand um einiges niedriger. Hier wird zwischen der West- und Ostpopulation unterschieden. 15.000 Tiere soll es noch in der Westpopulation geben, die Ostpopulation steht dagegen – mit weniger als 600 Tieren – kurz vor dem Aussterben.
Wo man Schweinswale beobachten kann
Gut gefallen hat mir, dass der Sylter Strand als bester Beobachtungsort für Schweinswale genannt wird. Denn diesen Tipp kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.
Vor allem Mütter mit ihren Neugeborenen kann man vom Strand aus gut mit den Augen verfolgen.
Doch auch an der Ostseeküste ist die Beobachtung von Schweinswalen möglich. Dafür werden Waltouren u.a. im Kleinen Belt angeboten.
Forscher und ihre Ziele
Aber nicht nur die Meeressäuger werden ausgiebig im Buch vorgestellt, sondern auch Forscher, die das Leben der Schweinswale genauer unter die Lupe bzw. vor die Taucherbrille nehmen.
Dazu gehören Projekte des Meeresbiologen und Tierfilmers Florian Graner. Von ihm stammen auch sehr schöne Unterwasseraufnahmen im Buch. Als eines seiner größten Filmerlebnisse empfand Graner die Geburt eines Schweinswals.
Auch das vor 20 Jahren eröffnete Fjord & Baelt Center in Dänemark wird vorgestellt. Zurzeit werden hier in einem Hafenbecken drei Schweinswale gehalten.
Die Tiere wurden ausgebildet, um bei Forschungsprojekten mitmachen zu können. Zum Beispiel wird mithilfe der zahmen Schweinswale erforscht, wie die Tiere Fischernetze erkennen können.
Viele Gefahren
Ein großes Kapitel ist der Gefährdung von Schweinswalen gewidmet. Da wird der Lärm unter Wasser genannt, außerdem Schadstoffe und Parasiten. Eine große Bedrohung geht auch von den Stellnetzen in Nord- und Ostsee aus.
Zu den natürlichen Feinden der Schweinswale zählen Orcas, Große Tümmler und Kegelrobben. Letztere gehören inzwischen zu einer der Haupttodesursachen der Schweinswale (17 Prozent). An erster Stelle steht der Beifang mit 20 Prozent. Danach folgen Infektionskrankheiten (18 Prozent). An vierter Stelle steht das Verhungern (14 Prozent).
Schutzbemühungen
Was wird alles zum Schutz der Schweinswale getan? Auch dieser Frage geht Claudia Hangen nach. Dabei wird der Einsatz von Vergrämungsmitteln – wie den sogenannten Pingern – diskutiert.
Diese batteriebetriebenen Geräte werden an Netze gehängt und stoßen Töne aus, welche die Schweinswale vertreiben sollen.
Pinger sind aber teuer und recht laut, gibt GREENPEACE zu bedenken. Außerdem müssen sie von den Fischern aufwendig gewartet und erneuert werden.
Deshalb kommt für die Umweltschutzorganisation als wahre Überlebenshilfe für Schweinswale nur ein Meeresschutzgebiet infrage, in welchem die Fischerei und der Abraum von Kies und Sand verboten wird.
Schweinswale vor Sylt
Besonders habe ich mich darüber gefreut, dass auch die Schweinswal-Schutzbemühungen von Rolf C. Schmidt und Birgit Hussel von der Seevogelrettungs- und Naturforschungsstation Sylt in das Buch aufgenommen worden sind.
Fünf Jahre lang (1994 bis 1999) haben die beiden Daten über den Schweinswalbestand vor Sylt gesammelt. (Auch ich war damals mehrfach in das Projekt eingebunden; siehe Vita).
Vor 20 Jahren konnte man noch Postkarten mit Fotos von zutraulichen Schweinswalen erwerben. Sie zeigten die Tiere in unmittelbarer Nähe von Surfern.
Es wird in dem Fachbuch auch über die Rettung von jungen Schweinswalen berichtet, an der Birgit und Rolf maßgeblich beteiligt waren.
Tolle Projekte
Im achten Kapitel wird anhand von Beispielen aufgezeigt, was alles für Schweinswale getan werden kann und getan wird. Da werden beispielsweise alternative Netztypen erprobt oder es werden in der niederländischen SOS-Station gestrandete Schweinswale gesund gepflegt und hernach wieder ins Meer entlassen.
Anatomie
Aber auch die Anatomie und das Verhalten der Schweinswale kommt nicht zu kurz. Der Leser erfährt, wie Schweinswale geboren werden, wann die Zähne durchbrechen und wie ihre Haut beschaffen ist.
Hierzu wird als Quelle u.a. Günther Behrmanns Abhandlung „Der natürliche Hautschutz der Wale“ herangezogen. (Günther Behrmann ist bereits seit vielen Jahren Fachberater der MEERESAKROBATEN.)
Wie intelligent ist ein Schweinswal?
Auch auf diese Frage wird in „Schweinswale – Die kleinen Vettern der Delfine“ eine Antwort gegeben. Dabei wird der amerikanische Psychologe David Wechsler zitiert, der Intelligenz folgendermaßen definiert: „… die zusammengesetzte oder globale Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen.“
Schnell stößt man an die Grenzen dieser Definition, wenn man sie auf Tiere bezieht. Denn menschliche Intelligenztest können kaum auf Tiere angewendet werden.
Um der Intelligenz von Schweinswalen auf die Spur zu kommen, sucht die Autorin Hilfe bei den sehr gut erforschten Verwandten der Schweinswale – den Delfinen, u.a. den in SeaWorld Orlando gehaltenen Orcas.
Quintessenz: Schweinswale sind „anders intelligent“ als wir. Dieser Satz lässt sich auch auf beliebig viele andere Tierarten ausweiten. Jede Art hat eine Intelligenz, die es ihr ermöglicht, in ihrem Umfeld zu überleben.
Fazit
Vor allem die vielen Farbfotos haben es mir angetan. Sie zeigen die Schweinswale aus allen Perspektiven. Dies ist – wie ich bereits weiter oben erwähnt habe – dem „normalen“ Beobachter normalerweise vergönnt, da die Meeressäuger immer nur kurz auftauchen und dann ausschließlich ihre Rückenflosse zeigen.
Claudia Hangen ist es gelungen, viele aktuelle Erkenntnisse über diesen kleinen Meeressäuger zusammenzutragen. Das Fachbuch spricht auch interessierte Laien an, da er verständnisvoll geschrieben ist und ohne komplizierte wissenschaftliche Ausdrücke auskommt.
Ein ideales Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk für Wal- und Delfin-Freunde oder für den eigenen Bücherschrank, um sich selbst über Schweinswale schlau zu machen.
Das Buch kostet 24,95 Euro und ist unter der ISBN-Nr. 978-3-89432-139-0 in jeder Buchhandlung zu beziehen. Man kann es auch direkt beim Verlag bestellen.