Gastbeitrag von Bettina Wurche, Biologin und Journalistin, 10. Februar 2017
Die MEERESAKROBATEN sagen herzlichen Dank für diesen herausragenden Artikel, den Bettina auch auf ihrem ScienceBlogs veröffentlicht hat.
Schwergewichte und „Killerwale“
Buckelwale (Megaptera novaeangliae) sind 40-Tonner und selbst unter Walen Schwergewichte.
Ein 40-Tonner mit bis zu 18 Metern Körperlänge hat im Meer nicht allzu viele Feinde. Vor allem, wenn er gern gemeinsam mit anderen Meeresriesen schwimmt, Buckelwale sind nämlich meist in kleinen Gruppen unterwegs.
Allerdings fangen auch Riesen klein an: Die Kälber sind bei ihrer Geburt „erst“ 4,50 Meter lang und stehen auf der Speisekarte verschiedener ozeanischer Beutegreifer.
Die größte Gefahr geht von Schwertwalen aus, den großen schwarz-weißen Delfinartigen (Orcinus orca).
Orcas sind zwar wesentlich kleiner als die großen Bartenwale, aber ihre Intelligenz und ihr Agieren in Gruppen macht sie gefährlich.
Nicht alle Orcas jagen andere Wale, schließlich gibt es viele Populationen, die nur Fische fressen. Andere Familien sind allerdings eingespielte Jagdrudel, die gemeinsam jagen und gemeinsam fressen, sie können auch geschwächte Einzeltiere oder Jungtiere größerer Walarten erlegen.
Die intelligenten Zahnwale entwickeln in ihren Populationen – Ökotypen – für jede Beute die richtige Strategie. Vom Zusammentreiben von Fischschwärmen zu Heringskarussells, das Stranden auf einem Strand, um einen Seelöwen zu erhaschen, oder auch das Überspülen oder Umkippen von Eisschollen, um Roben und Pinguine zu fressen.
Wilde Wal-Jagd in der Antarktis
Eine solche wilde Wal-Jagd beobachtete der NOAA-Ökologe Robert Pitman 2009 in der Antarktis: Einige Orcas belauerten eine Weddell-Robbe, die sich auf eine Eisscholle geflüchtet hatte. Die Orcas schwammen nebeneinander und bauten gerade eine Bugwelle auf, um die Robbe von der Scholle ins Meer zu spülen.
Auf einmal tauchten einige Buckelwale auf. Die Robbe schwamm in Todesangst auf die Bartenwale zu, eine Welle spülte sie dann auf die Brust eines mit dem Bauch nach oben schwimmenden Buckelwals. Der Wal hob seine Brust so weit aus dem Wasser, dass die Robbe sicher auf ihrer Wal-Insel lag.
Als die Robbe vom Wal zu rutschen drohte, schubste der große Meeressäuger den kleineren sanft auf die sichere Brust zurück. Schließlich konnte die Robbe von ihrer Wal-Insel aus eine sichere Eisscholle erklimmen.
“I was shocked,” erzählte der Ökologe und Augenzeuge Robert Pitman später, “It looked like they were trying to protect the seal.” Als ob die Buckelwale die Robbe beschützten wollten.
Buckelwal versus Orca
Dieses Erlebnis hat ihn so beschäftigt, dass er weiter recherchierte und dabei auf eine ganze Reihe glaubwürdiger Buckelwal-versus-Orca-Vorkommnisse stieß.
Dass es zwischen den beiden Arten manchmal zu Rangeleien kam, ist längst bekannt. Auch wenn die meisten dieser Vorkommnisse eher anekdotische Einzelfälle sind, sind viele von erfahrenen Wal-Biologen glaubwürdig beschrieben worden, andere stammten von Whale-watchings-Booten, auf denen ebenfalls mit Walen vertraute Personen beobachteten.
Pitman und viele andere Biologen haben 115 solcher Beobachtungen zusammengetragen, in denen Buckelwale einem von Orcas gejagten Tier zu Hilfe kamen. Die Opfer waren Buckelwale, andere Bartenwale, Delfine, Robben und einmal sogar ein Mondfisch (Pitman, R. L.; et al: “Humpback whales interfering when mammal-eating killer whales attack other species: Mobbing behavior and interspecific altruism”; MARINE MAMMAL SCIENCE, 33(1): 7–58 (January 2017) Published 2016. This article is a U.S. Government work and is in the public domain in the USA, DOI: 10.1111/mms.12343).
Na ja – Wenn (manche) Orcas schon Buckelwalkälber fressen, warum sollten sich die Buckelwale dann nicht revanchieren? ;-)
Es ist sicher hoch interessant, wie man ein solches Verhalten erklären kann. Auf jeden Fall höchst faszinierend.
Vielleicht ist es sogar eine Strategie, die Orcas aus ihrem Gebiet zu vergrämen um vorsorglich die eigenen Kälber zu schützen – was allerdings schon auf eine erstaunliche Intelligenz hinweisen würde.