Berichte, Biologen-Blog

Der böse Wolf und die heilige Kuh


Themen:

Biologen-Blog von Benjamin Schulz, Teil 22
8. Januar 2018

Wolf
(Foto; Rüdiger Hengl)

Die Vermenschlichung begann

Das instinktive Verhalten der Tiere war den ersten Menschen ein Rätsel, das sie nicht begreifen konnten, da auch die Kommunikation nicht möglich war, und so begannen die Menschen, menschliche Gefühle und Denkweisen auf die Tiere in ihrer Gesellschaft zu übertragen. Die Vermenschlichung war geboren.

Was heute in der wissenschaftlichen Kultur großes Kopfzerbrechen bereitet, war damals für die Menschen eine logische Vorgehensweise und überlebenswichtig, denn man kannte weder Vergrämung noch Verhaltensstudien: Damals war der böse Wolf eine Figur, die den Menschen ermahnte, Abstand zu halten und Vorsicht walten zu lassen, denn Raubtiere waren eine echte Bedrohung. Gleichzeitig wurden Beutetiere, denen man das eigene Überleben zu verdanken hatte, oft erhöht zu heiligen Wesen, die man zwar tötete, aber auch verehrte.

Auch heute werden Tiere getötet und gleichzeitig verehrt

Dieses für die Steinzeit typische Verhalten der Menschen gibt es selbst heute noch in menschlichen Gesellschaften, und das keineswegs nur in Ureinwohner-Kulturen: Die Delfinschlächter von Taiji (Japan) ehren in jährlichen Zeremonien die Geister der verstorbenen Wale.

Auch wenn das barbarische Schlachten der Tiere heutzutage ein modernes Massaker mit Speedbooten und Sprengharpunen geworden ist und man kaum noch irgendeine Art von Respekt, sondern eher Hass und Verachtung den Tieren gegenüber erkennen kann, so ist diese Zeremonie immer noch ein Überbleibsel aus den religiösen Gepflogenheiten der Steinzeit.

Delfinschlachtung in Taiji (Foto: Boyd Harnell))

Wissenschaft gegen Monsterdenken

Der Wolf dagegen schickt sich in unseren Gefilden an, erneut zur Märchenfigur zu werden.

Viele Jahrzehnte ausgerottet, kehren nun tatsächlich die wilden Wölfe zurück in unsere Länder, und werden gleich wieder massiv angefeindet. Viehhalter, Dorfbewohner und Bauern haben Angst um ihre Existenz und Sicherheit.

Trotz allem befinden wir uns in einer Zeit, in der es wissenschaftliche Nüchternheit ermöglichen sollte, friedlich miteinander auszukommen, aber das scheint mal wieder nicht zu funktionieren, denn die Tiere werden als Monster dargestellt und dementsprechend verfolgt.

Ein Problem an der Sache ist aber auch, dass auf der anderen Seite die Wolfsbefürworter ebenso wenig wissenschaftlich arbeiten, das Tier verklären und zu einem schon kultisch anmutenden Symbol der wiedergewonnenen Natürlichkeit erheben. Hier kommen also ganz klar die Tierrechte ins Spiel, denn diese entstehen nicht aus objektiver Betrachtung der Tiere und ihrer Bedürfnisse, sondern aus Vermenschlichung und religiöser Überzeichnung.

Rinder in der Serengeti
(Foto: Rüdiger Hengl)

Heilige Kühe als Beispiel für religiöse Überzeichnung

Ein tolles Beispiel dafür sind die heiligen Kühe in Indien: Auch diese sind ein religiöses Symbol und werden dementsprechend durch unantastbare Rechte geschützt, doch was haben die Tiere selbst davon? Die meisten leben ein schreckliches Leben auf den verdreckten und verkehrsreichen Straßen, verhungern und verdursten, wenn sie nicht bereits vorher bei einem Unfall sterben.

Pflegen darf man diese Tiere, töten jedoch nicht. Für einen Bauern mit einer Kuh gibt es deshalb oft nur die Möglichkeit, das Tier auszusetzen, zu verstoßen, wenn er selbst den Unterhalt nicht mehr aufbringen kann und an seine eigene Familie denken muss.

Über Jahrzehnte hinweg entstand so die Population von Rindern, die ein armseliges wildes Leben inmitten der menschlichen Gesellschaft führen muss, immer am Rande der Existenznot. Überleben tun die Tiere sowieso nur, weil es immer noch Menschen gibt, die sich um sie kümmern. Ob ihr Dasein lebenswert ist, können wohl nur die Tiere selbst beurteilen, doch zeigt dieses Beispiel deutlich, wie Tierrechte hier ad absurdum geführt werden.

Auf der nächsten Seite: Die Natur zeigt uns, was Tiere wirklich brauchen.

2 Kommentare

  1. Ich möchte noch einen anderen Aspekt ergänzen, der genau das Gegenteil von „Vermenschlichung“ ist, meiner Meinung nach aber genau so falsch: die Auffassung, die von einigen religiösen Gruppen, aber in früheren Zeiten auch von vielen Wissenschaftlern vertreten wurde: die strikte Abgrenzung zwischen Menschen und Tieren, die teilweise so weit geht, dass man meinen könnte, der Mensch würde außerhalb des Stammbaum des Lebens und der Evolution stehen. In alten Biologiebüchern findet man oft die Ansicht, Tiere seien rein instinktgesteuert, während der Mensch das einzige Wesen ist, das vernunftbegabt ist und planvoll handeln kann. Tiere wurden da fast wie „Roboter“ dargestellt, die gar nicht anders können als entsprechend ihrer „Programmierung“ zu agieren. Bei manchen Zeitgenossen hält sich diese Auffassung bis heute, obwohl dies spätestens mit der Entdeckung des planvollen Werkzeuggebrauchs bei vielen Säugetieren und Vögeln, aber auch bei einigen angeblich „niederen Tieren“ wie Tintenfischen nachgewiesen wurde und auch langfristiges planvolles Verhalten nachgewiesen wurde. SO haben viele Primaten einen feinen Sinn für fairness und Gerechtigkeit.
    Ich denke, dsss die grundlegenden Bedürfnisse höherer Säugetiere durchaus vergleichbar sind. Wohl jedes Lebewesen hat bestimmte Bedürfnisse. Ein Hund möchte will genau so gerne Nahrung wie wir und liebt es, gestreichelt zu werden – andererseits schnuppern Hunde gerne am Hinterteil von anderen Hunden – ein Verhalten, das man unter Menschen eher seltener findet.
    AM meisten ärgern mich aber diejenigen Leute, die – auf das menschengemachte Artensterben angesprochen – schulterzuckend sagen: „Na und? Im Lauf der Erdgeschichte sind unzählige Arten ausgestorben, die sollen sich halt anpassen, ansonsten verdienen sie es gar nicht zu überleben“. Das sind diejenigen, die auch beim Thema Klimawandel das Thema mit dem Satz „Das Klima hat sich schon immer verändert, das ist ganz normal“ abtun…

    geschrieben von Oliver
    1. Danke für deine Ergänzungen, Oliver! Du hast Recht, es gibt natürlich auch das entgegengesetzte Extrem. Wie immer typisch eigentlich für menschliche Sichtweisen, sich größtenteils mit den Extremen zu beschäftigen während nur sehr wenige die Wahrheit in der ausgeglichenen Mitte finden. Ich denke, dass der Mensch sich gerne überschätzt und von anderen abgrenzt. Ich halte mich gerne aus dieser Diskussion heraus, weil es meist zu nichts führt. Ich konzentriere mich deshalb auf die Beobachtung der Natur, weil man nur dort sicher erkennen kann, was Tiere wirklich brauchen. Für mich spielt es auch keine Rolle, ob Tiere nur instinktgesteuert sind oder planvoll handeln, sie verdienen trotzdem alle eine respektvolle Behandlung. Ganz klar, bei der Arbeit mit Delfinen habe ich so manche beeindruckende Handlungen erlebt die ganz eindeutig von großer Intelligenz und Kreativität zeugen. Das Problem des Menschen bei der Beobachtung und Beurteilung von Tieren ist halt, dass er oft viele verschiedene Themenbereiche unpassend miteinander vermischt, also Intelligenz, Empathie, Gefühlsleben, Ethisches Verhalten (oder was wir als solches ansehen). Tiere können extrem intelligent sein, sich gleichzeitig aber nach menschlichen Maßstäben unmoralisch verhalten. Das fließt dann oft ungewollt in die Beurteilung mit ein. Oder man beobachtet immer gleichbleibende Verhaltensweisen, die rein instinktiv gesteuert sind, schließt aber gleichzeitig falsch darauf, dass dabei keine Gefühle involviert sind etc. Die menschliche Intelligenz ist in meinen Augen häufig stark begrenzt wenn es darum geht, zusammenhanglos Einzelbereiche zu analysieren und diese hinterher im Puzzle richtig zusammenzusetzen. Weil immer wieder eingearbeitete Vorurteile oder Denkschemata, die durch Tradition und nicht durch eigenständige Analyse erworben wurden, diese Bemühungen zunichte machen.

      geschrieben von Benjamin

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