Fortsetzung des Biologen-Blogs von Benjamin Schulz
Auswilderung und Meeresbuchten
Herr Pfender, vielleicht erkennen Sie schon, worauf ich hinaus möchte: Es ist sicher einfach, den Delfinarien tendenziell Profitgier und Tierquälerei vorzuwerfen, wie viele Organisationen es tun, und bei einigen Konzernen mag das sicher auch voll ins Schwarze treffen, doch es bringt sie der Lösung nicht einen Schritt näher.
Viele Delfinarien sind gerne bereit, über Auswilderungen und Meeresbuchten zu sprechen, einige sind sogar sehr bemüht, so etwas zu erschaffen.
Wenn Sie sich nun mit denen zusammensetzen, könnte man vielleicht eher Lösungen finden als durch Abgrenzung und Verurteilung …
Gerade Dag Encke und auch Katrin Baumgartner vom Tiergarten Nürnberg habe ich immer als freundliche, offene und respektvolle Gesprächspartner kennengelernt, die sich mit ganzem Herzen dem Wohlbefinden ihrer Tiere widmen.
Delfinarien als Erzfeinde anzusehen, ist der falsche Ansatz
Solange es aber unter den Tierschützern Personenkreise gibt, die nur Anschuldigungen verteilen und nur darauf aus sind, den Betrieb von Delfinarien und Zoos einzustellen, und sich dann diebisch freuen, dass man seinen Erzfeinden den Job und somit das Einkommen genommen hat, wird es mit gutem Grund keine Annäherung vonseiten der Delfinarien geben.
Erst wenn solche Leute die Diskussionsebene verlassen, kann es für die Tiere Lösungen geben. Da gebe ich auch der WDC eine Mitverantwortung als einflussreiche Delfinschutzorganisation, den nötigen Respekt zu wahren und eventuelle Störenfriede aus den eigenen Reihen in die Schranken zu weisen.
Aber auch die WDC selbst muss sich eingestehen, dass man in Teilen sehr populistisch arbeitet und dieses sollte man unterlassen.
Zucht und Jungtiersterblichkeit
Sie schreiben in ihrem Beitrag, dass die Zoos immer noch keine erfolgreiche Zucht (des Großen Tümmlers) garantieren können. Es tut mir leid, Herr Pfender, aber das stimmt einfach nicht, die Zahlen zeigen ein ganz anderes Bild.
Auch ein Satz wie „Wir werden uns wohl nie vorstellen können, was es für einen Delfin bedeutet, immer und immer wieder die eigenen Jungtiere sterben zu sehen.“ ist extrem kontraproduktiv und leugnet die wahren Probleme.
Die Jungtiersterblichkeit in der Wildbahn ist genauso hoch oder höher, nur habe ich Sie in diesem Zusammenhang noch nie mitleidsvoll darüber sprechen hören.
In der Wildbahn sehen Delfine immer und immer wieder die eigenen Jungtiere sterben. Genauso auch gleichaltrige Artgenossen. Sie ersticken in Netzen, werden durch Boote tödlich getroffen, von Wilderern erschossen, harpuniert, von Fischern massakriert oder siechen durch Vergiftung und Verseuchung dahin.
Das ist alles kein Vergleich zu den Todesfällen in Zoos, die erstens zahlenmäßig selten sind und immer auch bis zum Ende durch tierärztliche Versorgung und Tierpflege so human wie möglich begleitet werden. Und das müssen auch Sie fairerweise anerkennen.
Fakt ist, die Zucht funktioniert in Europa so gut, dass die Zoos vor Platzproblemen stehen, und genau dieser Umstand ermöglicht doch jetzt, mal gemeinsam und seriös über Auswilderungsprogramme nachzudenken und diesen so wichtigen Schritt für den Artenschutz zu gehen.
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„Die richtigen Delfine…“?
Mir würden da spontan die Kleinen Tümmler (aka „Braunfisch“, aka Nordsee- bzw. Ostsee-Schweinswal) einfallen. Diese lassen sich aber nicht mit großen Tümmlern vergesellschaften und zudem dürfte es ziemlich schwierig werden, da eine zuchtfähige Population aufzubauen (Fangverbote, „Tierschutz“-Aktivisten etc.). Immerhin hat man bei dieser Art schon eine brauchbare Grundlage, was die Haltung angeht (Haderwijk bzw. Odense), so dass sogar eine Zucht aussichtsreich erscheint.
Andere, noch stärker bedrohte Arten sind entweder zu wenig erforscht, als dass eine Haltung Aussicht auf Erfolg hätte oder aufgrund ihrer wandernden Lebensweise nicht für Haltungen geeignet oder schlicht zu groß (z.B. bedrohte Bartenwale).
Allenfalls der Boto (Amazonas-Flussdelfin) wäre noch ein aussichtsreicher Kandidat, aber auch da dürfte die Arterhaltung an „Tierschützern“ und der Politik scheitern. Und da die Viecher im Süßwasser leben, kann man die auch keinesfalls zu den Großen Tümmlern oder den Robben packen. – Dafür könnten die sich mit den Manati eine Anlage teilen.
Außerdem: Was passiert dann mit den Karibischen Großen Tümmlern, die sich derzeit in den West-Europäischen Delfinarien tummeln?
Ich komme irgendwie nicht so recht dahinter, was Dag Enke gemeint haben könnte.
Ich würde es gerne sehen, wenn wir in Westeuropa einen Bestand von Schwarzmeertümmlern hätten, der auf die gleiche Weise erfolgreich gehalten und gezüchtet wird. Dass wir heute einen truncatus- und keinen ponticus-Bestand haben, ist in letzter Konsequenz eine Folge der Blockstaatenbildung während des Kalten Krieges. Und den etablierten Bestand auslaufen lassen, um auf Schwarzmeertümmler umzusteigen, dafür ist der Zug abgefahren. WENN es in Osteuropa denn genug Tiere gäbe, um einen Bestand aufzubauen – die es nicht gibt, also müssten wieder Wildfänge her – würde sich schon allein Startphase über Jahrzehnte hinziehen, da ja erstnal durch natürlichen Tod, Zuchtreduktion und Standortzusammenlegungen der truncati die Platzkapazitäten für die pontici frei werden müssten, und dann nochmal Jahrzehnte, bis, wenn es überhaupt funktioniert, der Bestand wieder neu aufgebaut ist. Und wenn dann in der Zwischenzeit der karibische Große Tümmler auf einmal bedroht ist – tja, Pech gehabt.
@ Dani
Ich würde auch gerne eine Zucht von Schwarzmeertümmlern sehen. Aber in Westeuropa ist das rein organisatorisch aus den von dir genannten Gründen auch nicht machbar, und ratsam wäre es auch nicht, die karibischen einfach aufzugeben. Aber beim Schwarzmeertümmler wird sich was tun in den Ursprungsländern ;). Ich bin da bereits ganz aktiv mit dabei.
Vielleicht noch ein paar Ergänzungen zum wie immer sehr guten Beitrag, da ich ja in der allgemeinen Zoo-Materie ja noch etwas weiter drin stecke, von der das Delphinthema bei mir nur ein Teil ist.
Zunächst zum Nördlichen Breitmaulnashorn. Das ist/war keine Art, sondern eine Unterart des Breitmaulnashorns (Ceratotherium simum). Die südliche Unterart C. s. simum hat einen relativ gesicherten Bestand in-situ wie auch die ex-situ (88 Halter in Europa). Das Breitmaulnashorn stirbt also – erstmal – nicht aus. Das Verschwinden der nördlichen Unterart cottoni hat eher eine symbolische Bedeutung. Ökologisch hat simum auch längst den Platz von cottoni engenommen, da schon seit Jahren simums aus südafrikanischen Schutzgebieten im ursprünglichen Verbreitungsgebiet von cottoni angesiedelt werden. Insofern würde in meinen Augen irgendwelche Rückzüchtungsversuche der nördlichen Unterart auch keinen Sinn ergeben. Eine unterartenreine cottoni-Population bekommt man nicht mehr zu stande und in der Wildbahn würde sie sich ohnehin wieder mit simum vermischen.
Die neue Ausrichtung des Tiergartens Nürnbergs habe ich so verstanden, dass man die Haltungen weniger bedrohter Arten auslaufen lassen will und statt dessen die Haltungskapazitäten nutzen will für in europäischen Zoo bereits vorhandene, bedrohte, aber selten gehaltene Arten. Ein Beispiel, um das Prinzip zu verdeutlichen (auch wenn es vielleicht nicht konkret auf Nürnberg zutrifft): Rhesusaffen sind nicht bedroht, Generalisten, Kulturfolge, eine Allerweltsart mit 86 Haltungen in Europa. Den Platz in einem Zoo, den eine Gruppe Rhesusaffen einnimmt, könnte genauso gut eine Gruppe Schopfmakaken einnehmen, endemisch auf Sulawesi, 29 Haltungen in Europa, vom Außsterben bedroht. Bei den Zoos, die sich das leisten können und das Know-How haben halte ich so ein Vorgehen nur für das konsequenten Umsetzten der eigenen Ansprüche.
Vielen Dank für deine Ergänzungen, Dani. Hier in diesem Artikel geht es schwerpunktmäßig um den Satz von Dag Encke, der in diversen Medien veröffentlicht wurde: „Auch zum Thema Delphinarium hat Encke eine Antwort parat. Seiner Meinung nach müsse zukünftig sichergestellt werden, dass die „richtigen Delphine“ (sprich die vom Aussterben bedrohten Arten) im Tiergarten gehalten werden.“
Danke Susanne. Der Satz von Dag Encke verwirrt mich ein wenig, da ich denke, dass schon jetzt die „richtigen“ Delfine im Tiergarten gehalten werden. Ich denke, ich habe das im Artikel auch deutlich gemacht. Der Große Tümmler wird wie alle Meeressäuger über kurz oder lang aus der Wildbahn verschwinden. Außerdem weiß man vom Großen Tümmler eine Menge, kann die Haltungsansprüche vernünftig einschätzen und hat Zuchterfolge. Kurzum: wenn das keine „richtigen“ Delfine sind, dann weiß ich auch nicht. Die vom Aussterben bedrohten Arten gehören meiner Ansicht nach aber auf keinen Fall in den Tiergarten, sondern höchstens in Rettungs- und Nachzuchtprojekte vor Ort.
Das sehe ich genauso wie du Benjamin.
@Benjamin
Sicherlich sind „Rettungs- und Nachzuchtprojekte vor Ort“ die bestmögliche Lösung, aber leider nicht die realistischste. Wenn man sämtliche Nachzuchtprojekte jeweils dort konzentrieren möchte, wo sie am besten hinpassen, würde real gar nichts passieren. Weder sind Meeresbuchten mit hunderten Delfinen machbar und finanzierbar, noch Wildgehege für Landtiere in politisch instabilen Krisenregionen.
Zudem in einem solchen Fall ein Seuchenausbruch den gesamten Bestand gefährden und ggfs. vernichten könnte – ebenso
militärische oder kriminelle Vorfälle an einer solchen Zuchtstation.
Von daher denke ich ist die verteilte Haltung in Zoos und Tiergärten die beste Lösung die wir bekommen können – idealerweise ergänzt um Nachzuchtprojekte „vor Ort“.
Die beste Lösung, die man sich wünschen kann, ist leider oft nicht die beste Lösung, die umsetzbar ist. „Gut gemeint“ ist leider allzu oft die Schwester von „komplett versiebt“.
@Norbert
Was die gut erforschten Arten angeht, bin ich ja auch deiner Meinung, dass eine Zucht verteilt auf Zoos eine gute Lösung ist. Aber das trifft eben nicht auf den Vaquita zu oder andere extrem bedrohte Arten, von denen nur noch wenige existieren und wo man dann plötzlich denkt man sollte was tun. Das ist Aktionismus, und da kommt weder die Wissenschaft noch die Zuchtstrategie irgendwie hinterher. Solche bedrohte Arten erst an die Haltung zu gewöhnen bzw. die Haltungsansprüche überhaupt erst zu erforschen funktioniert in dem Stadium nicht. Deshalb sage ich ja auch, man soll auch den Großen Tümmler nicht außer Acht lassen, da hat man was wichtiges aufgebaut und das muss weitergeführt werden. Diejenigen Tiere, die jetzt vom Aussterben bedroht sind und die man noch nicht in Zoos hält, für die ist das echt zu spät. Da hilft nur Arbeit und Schutz vor Ort. Man muss bedenken, dass die Haltung des Großen Tümmlers Jahrzehnte gebraucht hat, um vernünftig zu funktionieren. Diese Zeit haben bedrohte Arten nicht mehr und es wäre fahrlässig zu denken, man könnte die Erfahrungen anderer Arten eins zu eins übertragen. Und was Meeresbuchten mit hunderten Delfinen angeht: da hast du natürlich recht, das ist Aktivistenunsinn, aber davon habe ich auch nie gesprochen. Und das jeder Fall sowohl wirtschaftlich als auch geographisch und politisch einzigartig ist, ist mir auch klar. Was Seuchen angeht, müssen solche Projekte natürlich abgesichert sein, aber das werden sie auch, wenn sie von Spezialisten geführt werden. Und was militärische oder kriminelle Vorfälle angeht: Wenn Trump mit Raketen spielen will, kann man das wohl kaum verhindern. Und gegen andere kriminelle Aktivitäten gibts Hunde und Wachschutzpersonal. Das müssen Zoos ja mittlerweile auch haben.