Berichte, Biologen-Blog

Artenschutz: Das letzte Nashorn


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Fortsetzung des Biologen-Blogs von Benjamin Schulz

Infotafel im Nürnberger Tiergarten
(Foto: Rüdiger Hengl)

Skepsis ist angebracht

An dieser Stelle möchte ich mich dann auch gerne persönlich an Dag Encke wenden: Zwar habe ich über die Pläne des Tiergartens nur über die WDC indirekt erfahren, deshalb kenne ich sicher nicht die ganze Geschichte, trotzdem muss ich sagen, dass ich in Bezug auf die Pläne des Artenschutzes neuer, sehr bedrohter Spezies in Zoos skeptisch bin.

Zuerst einmal stimme ich hier der WDC zu, dass die Aufnahme neuer, praktisch völlig unbekannter Spezies ein zu großes Risiko birgt.

Am Beispiel des Vaquita sieht man das besonders gut, denn hier haben selbst die Verantwortlichen zugegeben, dass die Aufnahme und Zucht in Menschenhand nur dann funktionieren kann, wenn es noch genug Exemplare in der Wildbahn gibt und man gefahrlos experimentieren kann.

Gerade bei Cetaceen ist dies wichtig, denn wir wissen ja, wie lange es allein bei den Großen Tümmlern gebraucht hat, die richtigen Bedingungen zu etablieren.

Kritisieren aus der Ferne bringt nicht viel

Trotzdem würde ich auch hier der WDC empfehlen, etwas leiser aufzutreten, denn kritisieren aus der Ferne ohne zu helfen bringt auch nicht viel. Insofern trifft die Aussage für beide Seiten zu, dass „der Rettungseinsatz in Mexiko stattfindet“ und nicht hier im Disput zwischen Delfinarien und Delfinariengegnern. Anstatt dieses Projekt zu instrumentalisieren, sollten alle Seiten es unterstützen oder zumindest dafür sorgen, dass anderen Arten nicht dasselbe Schicksal widerfährt. Kurzum: nicht reden, handeln!

Panzernashörner im Nürnberger Tiergarten
(Foto: Rüdiger Hengl)

Auch das Nashorn-Beispiel zeigt meiner Ansicht nach gut, warum solche Rettungseinsätze nutzlos sind: Nach dem Tod des letzten männlichen nördlichen Breitmaulnashorns ruft man jetzt nach künstlicher Befruchtung mit eingefrorenem Sperma, Leihmüttern bei anderen Nashornspezies etc. Das Ganze soll neun Millionen Euro kosten und wofür? Damit irgendwo zwei, drei Exemplare dieser in der Wildbahn nicht zu schützenden Art in Zoos zur Betrachtung stehen?

Die Rückholung dieser Art ist vergeblich und die anderen Nashornarten brauchen ihre Weibchen selbst, um zumindest ihre eigene Art zu retten.

Zuchtprogramm ist wichtiges Puzzleteil

Mit Blick auf diese Fehlschläge möchte ich den Verantwortlichen des Nürnberger Tiergartens empfehlen, sich auf die Erfahrungswerte zu besinnen und sich selbst nicht kleiner zu machen, als sie sind: Das Zuchtprogramm der Großen Tümmler ist eine wichtige Institution in Europa, die man schützen und weiterführen muss.

Sicherlich gibt es Verbesserungsbedarf hier und dort, den man auch umsetzen muss, aber allgemein gesehen ist dieses Zuchtprogramm ein wichtiges Puzzleteil zur Rettung dieser Art. Denn niemand sollte sich täuschen lassen, weder die Zoos noch Organisationen wie die WDC: Auch diese noch so zahlenmäßig häufige Art wird aussterben.

Der Prozess hat schon längst begonnen und zeigt sich in verschwindenden Populationen (Schwarzes Meer, Neuseeland, Moray Firth, Argentinien, Ecuador etc.), Jungtiersterblichkeit und niedrigen Schwangerschaftsraten (Louisiana nach Deepwater Horizon etc.), verursacht durch Belastung mit chemischen Stoffen.

Natürlich, der Schutz und die Erhaltung der Lebensräume genießen noch höhere Priorität, doch in Zukunft werden die Nachzucht und Auswilderung dieser Tiere extrem wichtig werden.

Plakat in Nürnberg (Foto: Susanne Gugeler)

Lasst euch nicht blenden von der Roten Liste und welche Namen dort stehen oder nicht. Unabhängig davon werden bald viele Arten plötzlich verschwinden, von denen wir es gar nicht erwartet hätten.

Auswilderungsprogramm

Der Tiergarten kann auch mit den Großen Tümmlern seiner Aufgabe gerecht werden, im Artenschutz tätig zu werden. Aber natürlich braucht es dafür auch ein Auswilderungsprogramm.

Herr Encke und Herr Pfender, Sie beide sind für mich Menschen, denen wirklich etwas am Wohl der Tiere liegt, doch Sie verfolgen unterschiedliche Philosophien. Diese sind jedoch nicht unvereinbar, nur die Egos mancher Personen sind es.

Ein alter Hase der Zoohaltung kann durchaus von einem jungen Biologen mit Idealen etwas lernen. Und andersherum muss dieser engagierte Biologe vielleicht erst mal die Realität von Politik und Wirtschaft kennenlernen …

Denn die Bedrohung für die Zukunft von Delfinen und Walen liegt nicht in den Zoos, sondern in der Natur der Menschheit zu dominieren und Reichtum anzuhäufen, aber leider auch im Desinteresse der Bevölkerung.

Die Leute interessiert es nicht, ob Arten aussterben

Hier möchte ich Hannes Jaenicke gerne zitieren, der im Angesicht der Nashornmeldung betroffen zur Kenntnis nahm, dass es „die Leute nicht interessiert, ob Arten aussterben“. Bumms, der hat gesessen.

Die WDC und der Tiergarten bemühen sich beide darum, dass Leute sich dafür interessieren. Doch wir sind in der Minderheit gegenüber Trump, Exxon Mobil, Shell, BP und so vielen anderen. Wir können es uns nicht mehr leisten, auch untereinander noch gespalten zu sein.

Setzt euch zusammen und beschäftigt euch gemeinsam mit Naturschutz, Erhaltungszucht und Auswilderung, auch für den Großen Tümmler. Gemeinsam kann man viele Probleme besser lösen. Und wenn man erst mal redet, kommen alle weiteren Themen, die uns am Herzen liegen, ganz von allein. Auch, ob und wie Delfine in Zukunft gehalten werden sollen. Dabei setze ich mich gerne mit an den Tisch, um neue Perspektiven einzubringen.

In Hochachtung für Ihrer beider Arbeit,
Benjamin Schulz
Die anderen Blog-Beiträge von mir findet ihr hier.

9 Kommentare

  1. „Die richtigen Delfine…“?

    Mir würden da spontan die Kleinen Tümmler (aka „Braunfisch“, aka Nordsee- bzw. Ostsee-Schweinswal) einfallen. Diese lassen sich aber nicht mit großen Tümmlern vergesellschaften und zudem dürfte es ziemlich schwierig werden, da eine zuchtfähige Population aufzubauen (Fangverbote, „Tierschutz“-Aktivisten etc.). Immerhin hat man bei dieser Art schon eine brauchbare Grundlage, was die Haltung angeht (Haderwijk bzw. Odense), so dass sogar eine Zucht aussichtsreich erscheint.

    Andere, noch stärker bedrohte Arten sind entweder zu wenig erforscht, als dass eine Haltung Aussicht auf Erfolg hätte oder aufgrund ihrer wandernden Lebensweise nicht für Haltungen geeignet oder schlicht zu groß (z.B. bedrohte Bartenwale).

    Allenfalls der Boto (Amazonas-Flussdelfin) wäre noch ein aussichtsreicher Kandidat, aber auch da dürfte die Arterhaltung an „Tierschützern“ und der Politik scheitern. Und da die Viecher im Süßwasser leben, kann man die auch keinesfalls zu den Großen Tümmlern oder den Robben packen. – Dafür könnten die sich mit den Manati eine Anlage teilen.

    Außerdem: Was passiert dann mit den Karibischen Großen Tümmlern, die sich derzeit in den West-Europäischen Delfinarien tummeln?

    Ich komme irgendwie nicht so recht dahinter, was Dag Enke gemeint haben könnte.

    geschrieben von Norbert
    1. Ich würde es gerne sehen, wenn wir in Westeuropa einen Bestand von Schwarzmeertümmlern hätten, der auf die gleiche Weise erfolgreich gehalten und gezüchtet wird. Dass wir heute einen truncatus- und keinen ponticus-Bestand haben, ist in letzter Konsequenz eine Folge der Blockstaatenbildung während des Kalten Krieges. Und den etablierten Bestand auslaufen lassen, um auf Schwarzmeertümmler umzusteigen, dafür ist der Zug abgefahren. WENN es in Osteuropa denn genug Tiere gäbe, um einen Bestand aufzubauen – die es nicht gibt, also müssten wieder Wildfänge her – würde sich schon allein Startphase über Jahrzehnte hinziehen, da ja erstnal durch natürlichen Tod, Zuchtreduktion und Standortzusammenlegungen der truncati die Platzkapazitäten für die pontici frei werden müssten, und dann nochmal Jahrzehnte, bis, wenn es überhaupt funktioniert, der Bestand wieder neu aufgebaut ist. Und wenn dann in der Zwischenzeit der karibische Große Tümmler auf einmal bedroht ist – tja, Pech gehabt.

      geschrieben von Dani
    2. @ Dani

      Ich würde auch gerne eine Zucht von Schwarzmeertümmlern sehen. Aber in Westeuropa ist das rein organisatorisch aus den von dir genannten Gründen auch nicht machbar, und ratsam wäre es auch nicht, die karibischen einfach aufzugeben. Aber beim Schwarzmeertümmler wird sich was tun in den Ursprungsländern ;). Ich bin da bereits ganz aktiv mit dabei.

      geschrieben von Benjamin
  2. Vielleicht noch ein paar Ergänzungen zum wie immer sehr guten Beitrag, da ich ja in der allgemeinen Zoo-Materie ja noch etwas weiter drin stecke, von der das Delphinthema bei mir nur ein Teil ist.

    Zunächst zum Nördlichen Breitmaulnashorn. Das ist/war keine Art, sondern eine Unterart des Breitmaulnashorns (Ceratotherium simum). Die südliche Unterart C. s. simum hat einen relativ gesicherten Bestand in-situ wie auch die ex-situ (88 Halter in Europa). Das Breitmaulnashorn stirbt also – erstmal – nicht aus. Das Verschwinden der nördlichen Unterart cottoni hat eher eine symbolische Bedeutung. Ökologisch hat simum auch längst den Platz von cottoni engenommen, da schon seit Jahren simums aus südafrikanischen Schutzgebieten im ursprünglichen Verbreitungsgebiet von cottoni angesiedelt werden. Insofern würde in meinen Augen irgendwelche Rückzüchtungsversuche der nördlichen Unterart auch keinen Sinn ergeben. Eine unterartenreine cottoni-Population bekommt man nicht mehr zu stande und in der Wildbahn würde sie sich ohnehin wieder mit simum vermischen.

    Die neue Ausrichtung des Tiergartens Nürnbergs habe ich so verstanden, dass man die Haltungen weniger bedrohter Arten auslaufen lassen will und statt dessen die Haltungskapazitäten nutzen will für in europäischen Zoo bereits vorhandene, bedrohte, aber selten gehaltene Arten. Ein Beispiel, um das Prinzip zu verdeutlichen (auch wenn es vielleicht nicht konkret auf Nürnberg zutrifft): Rhesusaffen sind nicht bedroht, Generalisten, Kulturfolge, eine Allerweltsart mit 86 Haltungen in Europa. Den Platz in einem Zoo, den eine Gruppe Rhesusaffen einnimmt, könnte genauso gut eine Gruppe Schopfmakaken einnehmen, endemisch auf Sulawesi, 29 Haltungen in Europa, vom Außsterben bedroht. Bei den Zoos, die sich das leisten können und das Know-How haben halte ich so ein Vorgehen nur für das konsequenten Umsetzten der eigenen Ansprüche.

    geschrieben von Dani
    1. Vielen Dank für deine Ergänzungen, Dani. Hier in diesem Artikel geht es schwerpunktmäßig um den Satz von Dag Encke, der in diversen Medien veröffentlicht wurde: „Auch zum Thema Delphinarium hat Encke eine Antwort parat. Seiner Meinung nach müsse zukünftig sichergestellt werden, dass die „richtigen Delphine“ (sprich die vom Aussterben bedrohten Arten) im Tiergarten gehalten werden.“

      geschrieben von Susanne
      1. Danke Susanne. Der Satz von Dag Encke verwirrt mich ein wenig, da ich denke, dass schon jetzt die „richtigen“ Delfine im Tiergarten gehalten werden. Ich denke, ich habe das im Artikel auch deutlich gemacht. Der Große Tümmler wird wie alle Meeressäuger über kurz oder lang aus der Wildbahn verschwinden. Außerdem weiß man vom Großen Tümmler eine Menge, kann die Haltungsansprüche vernünftig einschätzen und hat Zuchterfolge. Kurzum: wenn das keine „richtigen“ Delfine sind, dann weiß ich auch nicht. Die vom Aussterben bedrohten Arten gehören meiner Ansicht nach aber auf keinen Fall in den Tiergarten, sondern höchstens in Rettungs- und Nachzuchtprojekte vor Ort.

        geschrieben von Benjamin
        1. Das sehe ich genauso wie du Benjamin.

          geschrieben von Susanne
        2. @Benjamin

          Sicherlich sind „Rettungs- und Nachzuchtprojekte vor Ort“ die bestmögliche Lösung, aber leider nicht die realistischste. Wenn man sämtliche Nachzuchtprojekte jeweils dort konzentrieren möchte, wo sie am besten hinpassen, würde real gar nichts passieren. Weder sind Meeresbuchten mit hunderten Delfinen machbar und finanzierbar, noch Wildgehege für Landtiere in politisch instabilen Krisenregionen.
          Zudem in einem solchen Fall ein Seuchenausbruch den gesamten Bestand gefährden und ggfs. vernichten könnte – ebenso
          militärische oder kriminelle Vorfälle an einer solchen Zuchtstation.

          Von daher denke ich ist die verteilte Haltung in Zoos und Tiergärten die beste Lösung die wir bekommen können – idealerweise ergänzt um Nachzuchtprojekte „vor Ort“.

          Die beste Lösung, die man sich wünschen kann, ist leider oft nicht die beste Lösung, die umsetzbar ist. „Gut gemeint“ ist leider allzu oft die Schwester von „komplett versiebt“.

          geschrieben von Norbert
        3. @Norbert

          Was die gut erforschten Arten angeht, bin ich ja auch deiner Meinung, dass eine Zucht verteilt auf Zoos eine gute Lösung ist. Aber das trifft eben nicht auf den Vaquita zu oder andere extrem bedrohte Arten, von denen nur noch wenige existieren und wo man dann plötzlich denkt man sollte was tun. Das ist Aktionismus, und da kommt weder die Wissenschaft noch die Zuchtstrategie irgendwie hinterher. Solche bedrohte Arten erst an die Haltung zu gewöhnen bzw. die Haltungsansprüche überhaupt erst zu erforschen funktioniert in dem Stadium nicht. Deshalb sage ich ja auch, man soll auch den Großen Tümmler nicht außer Acht lassen, da hat man was wichtiges aufgebaut und das muss weitergeführt werden. Diejenigen Tiere, die jetzt vom Aussterben bedroht sind und die man noch nicht in Zoos hält, für die ist das echt zu spät. Da hilft nur Arbeit und Schutz vor Ort. Man muss bedenken, dass die Haltung des Großen Tümmlers Jahrzehnte gebraucht hat, um vernünftig zu funktionieren. Diese Zeit haben bedrohte Arten nicht mehr und es wäre fahrlässig zu denken, man könnte die Erfahrungen anderer Arten eins zu eins übertragen. Und was Meeresbuchten mit hunderten Delfinen angeht: da hast du natürlich recht, das ist Aktivistenunsinn, aber davon habe ich auch nie gesprochen. Und das jeder Fall sowohl wirtschaftlich als auch geographisch und politisch einzigartig ist, ist mir auch klar. Was Seuchen angeht, müssen solche Projekte natürlich abgesichert sein, aber das werden sie auch, wenn sie von Spezialisten geführt werden. Und was militärische oder kriminelle Vorfälle angeht: Wenn Trump mit Raketen spielen will, kann man das wohl kaum verhindern. Und gegen andere kriminelle Aktivitäten gibts Hunde und Wachschutzpersonal. Das müssen Zoos ja mittlerweile auch haben.

          geschrieben von Benjamin

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