Pressemitteilung der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover vom 19. Juli 2018, veröffentlicht bei den Meeresakrobaten am 27. Juli 2018
Schadstoffe und genetische Analysen verraten Herkunft und Gruppenzugehörigkeit
Im Januar und Februar 2016 strandeten 30 junge männliche Pottwale an den Küsten Deutschlands, der Niederlanden, Großbritanniens, Dänemarks und Frankreichs, von denen 24 obduziert werden konnten.
Wissenschaftler des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) untersuchten diese gestrandeten Tiere gemeinsam mit ihren Kollegen aus den betroffenen Nachbarländern auf Schadstoffe. Sie stellten fest, dass die Tiere zu zwei Gruppen unterschiedlicher Herkunft gehörten. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachmagazin „Scientific Reports“.
Kontaminationsprofile
Es ist bekannt, dass sich in den Körpern einzelner Meeressäuger je nach geografischem Lebensraum und Nahrung unterschiedliche Mischungen und Konzentrationen chemischer Schadstoffe ansammeln können – es entstehen sogenannte Kontaminationsprofile.
Anhand dieser Kontaminationsprofile zogen die Forscher Rückschlüsse auf die sozialen Strukturen, in denen die jungen männlichen Pottwale (Physeter macrocephalus) lebten. Sie untersuchten dafür die während der Obduktionen gewonnenen Gewebeproben der 24 in der Nordsee gestrandeten Tiere und analysierten organische Verbindungen und Spurenelementkonzentrationen in Muskeln, Leber, Nieren und Fett.
Manche Tiere kamen von den Kanarischen Inseln
Dr. Joseph Schnitzler konnte mit weiteren Wissenschaftlern des ITAW zeigen, dass die Pottwale, die im Januar auf Texel in den Niederlanden, auf Helgoland und vor Büsum strandeten, aus stärker mit organischen Stoffen verschmutzten Gebieten stammten. „Wahrscheinlich stammten diese Tiere aus südlicheren Regionen und gehörten zur selben Gruppe“, erklärt Schnitzler. „Dass wir in den Proben dieser Tiere auch höhere Konzentrationen Arsen nachweisen können, unterstützt unsere Annahme. Arsen findet man vor allen im Bereich geothermisch aktiver Regionen wie den Azoren und vulkanischen Brennpunkten, wie den Kanarischen Inseln und den Kapverden.“
Bei der Gruppe von acht Bullen, die im Januar 2016 vor Dithmarschen strandeten, sowie bei zwei weiteren Tieren, die Anfang Februar vor Büsum strandeten, fanden die Forscher hingegen niedrigere Konzentrationen organischer Stoffe und Arsen, dafür aber höhere Konzentrationen an Zink und Barium.
Andere Tiere kamen aus Norwegen
Das in den Ozeanen gelöste Zink kommt, ähnlich wie Nährstoffe, in Oberflächengewässern nur in sehr geringen Konzentrationen vor, unterhalb von 1.000 Meter Wassertiefe sind die Konzentrationen jedoch sehr hoch. Nimmt man hinzu, dass Barium ein Indikator für arktische Wassermassen ist, zeigen die Beobachtungen, dass diese Tiere aus den tieferen nordatlantischen Nahrungsgebieten rund um den norwegischen Schelfrand stammten.
Genetische Analysen der Forscher deuten ebenfalls auf eine Herkunft aus dem Gebiet der Kanarischen Inseln und dem nördlichen Teil des Atlantiks hin. Sie ermöglichten es zudem, Verwandtschaften aufzudecken. „Die Kombination der toxikologischen und der genetischen Daten lässt darauf schließen, dass unter den gestrandeten Pottwalen zwei Gruppen unterschiedlicher Herkunft waren: Eine Gruppe stammt aus dem Gebiet der Kanarischen Insel und eine aus dem nördlichen Teil des Atlantiks“, erklärt Schnitzler.
Ausgeprägtes Sozialverhalten
Pottwale zeigen innerhalb der Gruppe der Großwale das am stärksten ausgeprägte Sozialverhalten. Außer während der Paarungszeit leben erwachsene männliche und weibliche Pottwale in den Weltmeeren getrennt.
Die Gruppenstrukturen, Gruppengrößen und Heimatregionen der weiblichen Gruppen wurden bereits relativ gut untersucht.
Adulte Weibchen leben mit Jungtieren beiderlei Geschlechts in stabilen Gruppenverbänden. Diese Gruppen kommen hauptsächlich in subtropischen Gewässern der niedrigen Breiten vor.
Männchen verlassen die Kinderstube mit zehn Jahren
Die jungen Männchen verlassen diese Gruppen ungefähr im Alter von zehn Jahren und wandern dann allmählich in höhere Breiten mit kälteren Oberflächengewässern.
Untersuchungen zeigen, dass sich diese jungen Pottwale zu rein männlichen Junggesellengruppen zusammenschließen, über deren Gruppenstruktur allerdings wenig bekannt ist. Abgesehen von diesen Junggesellengruppen werden männliche Pottwale später gewöhnlich einzeln oder gelegentlich in Zweiergruppen mit ausgewachsenen Männchen gesichtet.
Erst in ihren späten zwanziger Jahren kehren die geschlechtsreifen Männchen schließlich in niedrigere Breiten in die Gebiete zurück, in denen die Weibchen leben, um sich zu paaren.
(Quelle: TiHo Hannover)
Kombination verschiedener Faktoren
Nachtrag vom 12. August 2018: Die Untersuchung zu den Pottwalstrandungen 2016 ist inzwischen abgeschlossen. Die Strandung von 30 Pottwalen in der Nordsee wurde wahrscheinlich durch ein komplexes Zusammenspiel von Umweltfaktoren verursacht. Viele Faktoren wie z.B. Plastikmüll, Parasiten, Erkrankungen, Verwicklungen in Seilen und Netzen, Schiffskollisionen, chemische Verschmutzung des Wassers, marine Algenblüten, Meeresbeben, Veränderung der Meeresoberflächentemperatur wurden als mögliche treibende Faktoren der Strandungsserie als sehr unwahrscheinlich ausgeschlossen.
Wie die meisten Tiere, die bisher in dieser Region strandeten, handelte es sich bei den untersuchten Tieren aus dem Jahr 2016 um junge subadulte Männchen im Alter zwischen 10 und 16 Jahren. Untersuchungen der Mageninhalte ergaben, dass die Tiere wahrscheinlich in den norwegischen Gewässern, mindestens 1.300 Kilometer entfernt und bevor sie in die Nordsee gelangten, zum letzten Mal gefressen hatten. Pottwale kommen normalerweise in viel tieferen Gewässern vor. Die südliche Nordsee ist ein sehr unnatürlicher Lebensraum für Pottwale: Das seichte Wasser und die allmählich abfallende Küste machen es ihnen schwer, hier effektiv zu navigieren. Zusätzlich kommt ihre bevorzugte Beute, der Tintenfisch, nicht in der Nordsee vor. Die Pottwale fanden folglich nicht ausreichend Nahrung. Die südliche Nordsee kann als eine Art Falle für tief tauchende Wale wie den Pottwal angesehen werden: Sobald sie in diesen Bereich vordringen, sind sie einem erheblichen Risiko zu sterben ausgesetzt.
(Quelle: Pressemitteilung der TiHo Hannover vom 7. August 2018)
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