Biologen-Blog von Benjamin Schulz, Teil 25
8. Oktober 2018
Sind Tiere nur Maschinen oder bessere Menschen?
(Im Gedenken an Moby)
Hallo liebe MEERESAKROBATEN-Fans!
Nach längerer Sommerpause möchte ich mich heute wieder zurückmelden mit einem neuen Blogbeitrag.
Aus gegebenem Anlass und weil es durchaus auch thematisch passt, möchte ich diesen Beitrag dem Tümmler Moby widmen, der kürzlich im hohen Alter von 58 Jahren und einem Großteil davon im Tiergarten Nürnberg leider verstorben ist. Ich werde am Ende des Beitrags speziell auf ihn eingehen.
Nun aber zum eigentlichen Thema, das mich vor allem in den vergangenen Wochen wieder mal bewegt hat, weil es mehrere Mediengeschichten geschafft haben, die Titelfrage in eine breite öffentliche Diskussion zu pressen.
Die gesellschaftliche Sicht auf unsere tierischen Mitbewohner wird vor allem durch zwei dominante Meinungsbilder beherrscht: Während eine Seite fest davon überzeugt ist, dass Tiere im Grunde nur Maschinen seien ohne Gefühle, freiem Willen und Intelligenz, proklamiert die andere Seite für sich – meist basierend auf Vermenschlichung –, Tiere würden genauso fühlen und denken wie Menschen und seien zum Teil sogar moralisch uns Menschen überlegen. Letzteres vor allem dann, wenn Berichte über durchaus altruistisches Verhalten zwischen verschiedenen Spezies in tränenrührenden Videos geteilt werden.
Unvereinbare Sichtweisen haben eine Gemeinsamkeit
So unvereinbar wie beide Sichtweisen sind, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Die Realität bilden sie beide nicht ab.
Wissenschaftlich gesehen, haben beide Ansichten keinerlei Existenzberechtigung, denn objektive Beobachtungen und Untersuchungen haben bereits gezeigt, wie Tiere und Menschen funktionieren und was sie antreibt.
Die erstere beruht meist auf der Überzeugung, Menschen an sich seien den Tieren überlegen und dies müsse doch in jedem Lebensbereich deutlich festgestellt werden. Oft kommen dazu noch religiös verwurzelte Zwänge, die Evolution und Abstammung des Menschen von Tieren selbst infrage zu stellen bzw. vielerorts sogar vehement zu bekämpfen.
Im Angesicht des vollkommen von den Menschen gestalteten Planeten, mit Städten, Fabriken, Verkehrswegen und der damit einhergehenden Vernichtung vieler Arten ist es schon sehr verwunderlich, dass manche Menschen immer noch weitere Merkmale benötigen, um sich von den Tieren deutlicher abzugrenzen bzw. ihrer Überlegenheit Ausdruck zu verleihen. Man kann das schon als eine Art gesellschaftlichen Minderwertigkeitskomplex betrachten.
Die mechanistische Betrachtung biologischer Systeme als „Maschinen“ trifft umso weniger zu, je höher die entsprechende Art entwickelt ist. Ich denke, das kann jeder bestätigen, der mal sowohl physikalische als auch biologische Experimente durchgeführt hat. In der Physik kann man auf viele Stellen hinter dem Komma vorausberechnen, wie sich eine Maschine verhalten wird. In der Biologie hingegen kann man schon bei einfachen Messungen (z.B. der Ableitung von Aktionspotenzialen) oft froh sein, wenn das Ergebnis auch nur annähernd em entspricht, was im Lehrbuch steht. Klar lassen sich bestimmte Vorhersagen treffen, die aber in ihrer Genauigkeit im Vergleich zu mechanischen Systemen doch sehr grob sind. Gerade bei höher entwockelten Arten, die im Sozialverband leben, gibt es zudem individuelle Charaktereigenschaften. Um beim Beispiel zu bleiben: Moby war ein sehr sozialverträgliches Tier und friedliches Tier, der dennoch seine Gruppe „im Griff hatte“. Andere Delfinmännchen sind viel forscher, aufdringlicher und aggressiver. Ich dene jeder Delfinpfleger könnte über jedes der ihm anvertrauten Tiere Romane über deren individuelle Eigenschaften, Stärken und auch deren „Macken“ erzählen. Klar, mein PC scheint manchmal auch so seine Macken zu haben und mitunter recht bockig zu sein, aber ich denke, das liegt nicht daran, dass er besonders „boshaft“ wäre, sondern einfach, weil die Programmierer eines häufig verwendeten Betriebssystems eben doch nicht ganz so sauber gearbeitet haben…
Ich betrachte Tiere (insbesonders höher entwickelte Arten) deshalb als Lebewesen, die einfach auf einem anderen „Ast“ des „Baums der Evolution“ sitzen. Eine Vermenschlichung wäre – wie Benjamin ja auch schreibt – ebenso falsch wie Gemeinsamkeiten zwischen den Arten zu leugnen, da wir mit näher verwandten Arten natürlich gemeinsame Vorfahren haben; die „Wurzeln“ also identisch sind. Im Lauf der Jahrmillionen hat man sich eben unterschiedlich entwickelt. Das finde ich gerade das faszinierende: wir sind mit allem, was auf diesem Planeten lebt, in irgendeiner Art und Weise genetisch verwandt. Für mich erzeugt dieses Wissen so eine Art Verbundenheitsgefühl, ich sehe darin jedoch nichts Esoterisches. Ob eine Art „besser“ oder „schlechter“ ist, hängt von der Disziplin an. So hat selbst der intelligenteste Delfin größte Schwierigkeiten, zwei zweistellige Zahlen zu addieren. Da macht uns Vertretern des Homo sapiens keine andere Art was vor. Wenn’s hingegen ums Schwimmen geht, wirkt selbst ein Olympiasieger wie Michael Phelps gegen einen Delfin wie eine lahme Schnecke.
Ich vermisse Moby auch, denke aber, dass er ein angenehmes Leben hatte. Auch wenn uns Delfine nicht sagen können, was sie empfinden, gibt die Analyse ihres Hormonhaushalts doch Hinweise auf ihre Stimmungslage. Wenn statt Cortisol („Stresshormon“) vermehrt Serotonin („Glückshormon“) findet, kann man schon davon ausgehen, dass es den Tieren wohl nicht allzu schlecht geht. Zudem zeigt ja auch das Verhalten dem Kenner recht gut an, wie die Delfine so drauf sind.
Danke Oliver für die tollen Ergänzungen! Deine Metapher mit dem Baum der Evolution finde ich klasse, da muss man nur nach draussen schauen und wenn man dort mehrere Vögel unterschiedlicher Arten auf einem Baum sitzen sieht, wie jeder sein eigenes Leben, aber doch in Verbindung mit den anderen dort lebt, dann erkennt man wie gut diese Beschreibung auch einige Grössenordnungen mehr immer noch zutreffend ist. Bei mir zuhause hab ich da immer ein tolles Bild, unten im Boden wühlen die Amseln, am Stamm klettern die Spechte, in den unteren ästen tummeln sich Meisen und Finken, in der Mitte sitzt ein Taubenpaar zusammen und oben machen die Krähen Krawall. Die Natur ist eine Einheit der Vielfalt. Ich glaube, der Begriff trifft es am besten.
Hallo Benjamin,
ich habe zu Hause ein tolles Evolutions-Poster, das ich mir immer stundenlang anschauen könnte. Es macht Spaß, bei zwei Klassen bzw. Ordnungen des Tier- und Pflanzenreichs zu beginnen und dann die Äste am Baum zurückzuverfolgen, bis man auf die Stelle trifft, als sich beide Gruppen getrennt haben.
https://www.kinderpostershop.de/Evolution-der-Pflanzen-und-Tiere
Mir hat dieser Eintrag sehr gut gefallen. Als jemand der von vielen Tieren fasziniert ist, von den „bösen“ (Haie, Schlangen etc) und den „lieben“ gleichermaßen kenne ich den Konflikt Tiere einerseits nicht zu vermenschlichen und andererseits den Gedanken im Hinterkopf zu behalten dass wir Tiere -trotz der Fortschritte, die wir gemacht haben –
vielleicht immer noch unterschätzen. Vor allem der Abschnitt mit der Intelligenz hat den Nagel auf den Kopf
getroffen. Nicht wer ist intelligent sondern was, ganz genau so sehe ich das auch. Genauso mit dem Abschnitt
über Gefühle.
Vielen Dank für deinen Kommentar, Marisa! Ich sehe die Fragestellung „Wer oder was ist intelligent?“ ganz ähnlich wie du. Außerdem ist es wichtig, den Tieren ihre Individualität nicht abzusprechen. Die einen reagieren so, die anderen so …