Beitrag von Mathias Orgeldinger, mit freundlicher Erlaubnis des Nürnberger Tiergartens, 27. Dezember 2019
Im Meer sterben die Delfine, an Land die Delfinarien
Das ist keine gute Nachricht für die letzten Indus-, Ganges-, La-Plata- oder Chiledelfine, die wohl nur noch durch die zeitweise Zucht in Menschenobhut vor dem endgültigen Aussterben bewahrt werden können. Dafür brauchen die Meeresbiologen (In-situ-Artenschutz) jedoch das Know-how der Delfinariumsexperten (Ex-situ-Artenschutz) weltweit.
In Deutschland ist die Zahl der Delfinhaltungen von 14 auf zwei in Nürnberg und Duisburg zurückgegangen. Die letzte Einrichtung in der Schweiz schloss 2013. Auch England verzichtet auf Delfinarien. Indien hat 2013 den Import für kommerzielle Zwecke verboten, Kanada hat die öffentliche Zurschaustellung von Delfinen heuer untersagt.
Frankreich diskutiert das Verbot der Zucht. In den USA ist die Gesetzeslage in jedem Staat unterschiedlich. Während South Carolina und New York jede Form der Delfinhaltung verbieten, erlaubt Kalifornien die Haltung von Orcas zum Zweck der Rehabilitation, der Forschung und der Bildung.
Reine Unterhaltung ist nicht mehr zeitgemäß
Eine Gruppe von medial hochgerüsteten Tierschutzorganisationen deutet das Delfinariensterben als ihren Erfolg.
Sicherlich gibt es schlechte, gesetzeswidrige Tierhaltungen und die Vorführung eines Delfins einzig zu Unterhaltungszwecken ist nicht mehr zeitgemäß.
Gerade Hochseearten eignen sich nicht für ein Leben in Menschenobhut. Doch es gibt auch viele Argumente für eine wissenschaftlich betreute Delfinhaltung und die Präsentation zu Bildungszwecken.
Tier den Menschen näherbringen
„Man sollte den Politikern klarmachen, dass mit jedem geschlossenen Delfinarium eine potenzielle Möglichkeit verloren geht, Tiere zu studieren, zu rehabilitieren und
sie dem Menschen näherzubringen“, sagt Lorenzo von Fersen, Kurator für Forschung und Artenschutz des Tiergartens Nürnberg.
„Ein Leben in Freiheit ist immer besser als ein Leben in Gefangenschaft“, erklärt dagegen Tanja Breining von der Tierrechtsorganisation Peta. Die Aktivistin scheint sicher zu sein, dass jeder Delfin, der in einem Becken lebt, dieses lieber heute als morgen in Richtung Meer verlassen würde.
Tiere kennen keinen Freiheitsdrang
Zoomitarbeiter machen eine andere Erfahrung: Tiere kennen keinen Freiheitsdrang um ihrer selbst willen.
Wenn Kängurus ausreichend ernährt werden und das Sozialgefüge stimmt, genügt ein kleiner Zaun als „Absperrung“.
Auch andere Tiergartenbewohner könnten ihr Gehege jederzeit verlassen. Sie tun es aber nicht.
Warum sollte sich ein Delfin anders verhalten?
Wir können die Tiere nicht fragen
Wir können einen Großen Tümmler nicht fragen, ob er lieber in einem Delfinarium oder im offenen Meer leben möchte. Uns bleibt nur ein fehlerhaftes, weil artübergreifendes Einfühlungsvermögen.
Würde jeder von uns das lebensgefährliche „Abenteuer“ in freier Wildbahn einem zwar räumlich beengten, aber längeren Leben mit Vollverpflegung und medizinischer Versorgung vorziehen? Würde jeder von uns gerne in der „freien“ Gesellschaft Großer Tümmler mit „Schweinswalmördern“ und „Gruppenvergewaltigern“ zusammenleben, die Inzest und Kindstötung begehen? Oder doch lieber im langweiligen Beton-Becken, wo Trainer und Veterinäre (notfalls mit Beruhigungsmitteln) auf eine konfliktfreie Gruppenstruktur achten?
Das Gedankenexperiment zeigt, wohin die Vermenschlichung von Wildtieren führt. Der Mythos vom allzeit lächelnden, liebenswerten Delfin ist nicht aus der Welt zu schaffen.
Das „charismatische Tier“ hilft Zoos und Meeresaquarien, die Bedrohung mariner Ökosysteme zu thematisieren und Spendengelder einzutreiben.
Auf der nächsten Seite wird über den kurz vor dem Aussterben stehenden Vaquita berichtet.