Meeresakrobaten, 21. November 2021
Besonders sensible Meeresregion
Um eine echte Perspektive für ein lebendiges Mittelmeer zu schaffen, empfiehlt die Schweizer Meeresschutzorganisation OceanCare, das gesamte nordwestliche Mittelmeer vom Walmigrationskorridor (Gebiet zwischen den Balearen und dem spanischen Festland) bis zum Ligurischen Meer zu einer besonders sensiblen Meeresregion (PSSA – Particular Sensitive Sea Area) zu erklären.
Aktuell formulieren die Regierungen Spaniens, Italiens, Frankreichs und Monacos einen solchen Antrag an die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO).
Öl- und Gassuche ist verboten
Erfreulich ist, dass Spanien im „Gesetz zum Klimawandel und zur Energiewende“ bereits im Mai 2021 festgelegt hat, in dem seit 2018 bestehenden Meeresschutzgebiet der Balearen keine weiteren Konzessionen für die Öl- und Gassuche zu erteilen.
Die letzte bestehende Förderkonzession läuft Ende 2042 aus. Der Einsatz von Airguns, Boomern, Sparkern und anderen aktiven Sonarquellen mit hoher Amplitude wie Multibeam- und Side-Scan-Systemen ist verboten.
Doch die Gefahren für Meeressäuger sind noch nicht gebannt.
OceanCare präsentiert Maßnahmenkatalog
Am 16. November 2021 präsentierte OceanCare im Rahmen einer Pressekonferenz in Palma de Mallorca zusammen mit den regionalen Partnern Fundación Marilles und Alnitak einen Maßnahmenkatalog zur Reduktion des Unterwasserlärms im sogenannten Walmigrationskorridor.
Biologische Vielfalt
Der Walmigrationskorridor ist 46.388 km² groß, rund 85 km breit. Er verläuft zwischen der katalanischen und valencianischen Küste und dem Balearen-Archipel und wurde 2018 als Meeresschutzgebiet ausgewiesen. Ein Jahr später wurden die Gewässer mit ihrer außergewöhnlich großen biologischen Vielfalt als Gebiet mit besonderer Bedeutung für das Mittelmeer (SPAMI) anerkannt.
Nicht weniger als acht Walarten suchen diese Gewässer auf – darunter manche der größten Meeressäuger, wie Finn- und Pottwale.
Sicher ist die Passage nicht
Aber trotz Walkorridor: Sicher oder gar ungefährlich ist die Passage für Wale und Delfine nicht. Denn gleichzeitig verlaufen hier wichtige Schifffahrtsrouten, die zu intensivem Verkehrsaufkommen auf See führen.
Basierend auf Daten des spanischen Verkehrsministeriums fuhren alleine im Jahr 2019 etwa 125.000 Handels- und Kreuzfahrtschiffe spanische Mittelmeerhäfen an. Tausende weitere kreuzen das Gebiet, um in französischen oder italienischen Häfen anzulegen.
Lärm-Hotspot
Die großen Schiffe verursachen konstanten Unterwasserlärm, der Wale und Delfine massiv gefährdet. Der Walmigrationskorridor ist seit 2016 als Lärm-Hotspot identifiziert.
Und Schiffskollisionen enden für die imposanten Pott- und Finnwale regelmäßig tödlich. Es liegt auf der Hand: Ein Meeresschutzgebiet bietet erst dann echten Schutz, wenn die notwendigen Maßnahmen zum Schutz seiner Lebewesen greifen.
Im Folgenden ein paar Beispiele aus den Vorschlägen von OceanCare.
Unterwasserlärm
Gefahr Unterwasserlärm: Die größten Lärmquellen im Meer sind der Schiffsverkehr und die Öl- und Gasexploration.
Schiffe erzeugen insbesondere durch den Propeller tieffrequenten Schall, der sich über enorme Entfernungen in alle Richtungen ausbreitet.
Bei der Suche nach Öl- und Gasvorkommen im Meeresboden sind Schallkanonen im Einsatz, die alle 10 bis 15 Sekunden über Wochen hinweg Schall in einer Intensität von bis zu 260 Dezibel emittieren.
Auch militärische Aktivitäten, darunter Explosionen und der Einsatz aktiven Sonars, sowie industrielle Arbeiten bei der Verlegung von Unterwasserkabel und Pipelines und Rammarbeiten, Wassersport und Fischerei belasten das Meeresschutzgebiet akustisch.
Das Problem: Geräusche sind lebensnotwendig für die meisten Meerestiere, um ihre Beute aufzuspüren, zu kommunizieren und sich zu orientieren. Menschengemachter Lärm maskiert diese natürlichen Geräusche, er verursacht bei Meerestieren Hörschäden und Stress, bis hin zu körperlicher Verletzung oder Tod.
Unterwasserlärm gilt als eine der größten Bedrohungen für Meereslebewesen.
Die Lösung: Die wichtigste Maßnahme ist schlicht eine langsamere Schifffahrt im Walmigrationskorridor.
Fährt ein Schiff ein Zehntel langsamer, gibt es 40 % weniger Lärm ins Meer ab.
Ein Tempolimit ist auch der einfachste und kosteneffizienteste Weg, die Treibhausgasemissionen von Schiffen zu verringern: Drosselt ein Schiff sein Tempo um 10 %, stößt es rund 13 % weniger CO2 aus, fährt es ein Fünftel langsamer, sinken die Emissionen um knapp 25 %. Ebenfalls ein messbarer Beitrag zum Klimaschutz.
Kollisionen
Gefahr Kollisionen: Der Zusammenprall mit einem Schiff ist die Haupttodesursache von Finnwalen im Mittelmeer.
2.000 Mal in den Sommermonaten und 700 Mal im Winter riskieren Finnwale im nördlichen Mittelmeer mit einem Passagier- oder Frachtschiff zusammenzustoßen, schätzen Wissenschaftler.
Auch Pottwale sind extrem gefährdet, denn sie müssen zwischen ihren tiefen Tauchgängen Ruhephasen von etwa zehn Minuten an der Wasseroberfläche verbringen. Je schneller die Schiffe unterwegs sind, desto größer ist das Risiko einer tödlichen Kollision für die Wale.
Die Lösung: Auch hier punktet ein Tempolimit. Fahren Schiffe nur ein Zehntel langsamer, sinkt die Gefahr eines tödlichen Zusammenstoßes für Wale um 50 %. Für Schutzgebiete wird ein Tempolimit von zehn Knoten (18,52 km/h) empfohlen.
Zusätzlich sollte das von OceanCare entwickelte Ortungssystem von Zahnwalen eingesetzt werden, um Schiffskapitäne vor Kollisionen mit Pottwalen zu warnen.
Weitere Maßnahmen
Weitere Maßnahmen betreffen militärische Operationen und ein Verbot mittel- und niederfrequenter Sonarsysteme.
Außerdem macht OceanCare weitreichende Vorschläge zu mineralgewinnender Industrie, Unterwasserkabeln und Pipelines, lärmerzeugender Fischerei, Tourismus und Verhinderung aller Arten von Wasserverschmutzung.
(Quelle: OceanCare)