Biologen-Blog von Dr. rer. nat. Benjamin Schulz, Diplom-Biologe, Volontär, Zoo Dortmund, Teil 35
25. Oktober 2022
Ich möchte die Thematik einmal anhand eines konkreten Beispiels aus der Delfinhaltung besser verständlich machen:
Beispiel aus der Delfinhaltung
In einem Zoo wird im Delfinarium ein männliches Jungtier in eine Gruppe aus zwei männlichen erwachsenen und vier weiblichen Tieren geboren (der Einfachheit halber nenne ich diese Gruppe im weiteren Verlauf 2,4 bzw. 3,4 wenn ich das männliche Jungtier mit einbeziehe).
Ein männlicher Delfin ist der Vater des Jungtieres, der andere ist nicht verwandt, aber ebenso alt wie das Vatertier. Neben der Mutter des Jungtieres sind die anderen Weibchen die Vollschwester, die vier Jahre älter ist, eine Halbschwester (gleiche Mutter) die zwölf Jahre älter ist, sowie eine einjährige Tochter der Halbschwester.
Die Gruppe (3,4) hat zunächst eine gut funktionierende Sozialstruktur, die beiden Jungtiere spielen zusammen und ihre Mütter helfen sich gegenseitig bei der Aufzucht der Jungtiere.
Die erwachsenen Männchen haben untereinander eine starke Bindung und verstehen sich gut. Es gibt nur selten Spannungen sozialer oder sexueller Natur.
Auch ein Jahr später läuft es in 3,4 noch richtig gut. Was danach geschehen kann, möchte ich anhand von zwei möglichen Szenarien beschreiben:
Szenario 1:
Zwei Jahre nach der Geburt des männlichen Jungtieres gibt es eine unangenehme Überraschung. Ein weiteres Jungtier wird geboren.
Was normalerweise Grund zur Freude ist, könnte dieses Mal schnell zum Problem werden. Die Mutter ist nämlich die erst sechs Jahre alte Schwester unseres nun zweijährigen Protagonisten, also mit zu jungen fünf Lebensjahren bereits gedeckt worden.
Dass so etwas bei einer permanenten Haltung von beiden Geschlechtern passieren kann, ist klar, es sollte aber durch regelmäßige Kontrollen der Reproduktionstätigkeit möglichst vermieden werden.
Unangenehm ist zudem auch, dass sich bei einem Test der eigene Vater auch als Vater des neuen Jungtieres herausstellt. Es ist also zur Inzucht gekommen.
Dies ist nicht nur aus medizinischer Sicht problematisch, sondern stellt den Zoo zusätzlich vor eine große Hürde, dieses Tier in Zukunft abgeben zu können, denn für die weitere Zucht ist das Tier ungeeignet.
Das bedeutet, dass schon bald ein weiteres Tier den begrenzten Platz im Zoo belegen wird, denn auch unser Protagonist steht als männliches Tier bereits auf der Abgabeliste. Es findet sich aber kein Abnehmer, da alle Delfinarien in Europa voll belegt sind und eine Überzahl an männlichen Tieren managen müssen.
Die Gruppe – mittlerweile also 4,4 – befindet sich schon jetzt nicht mehr im optimalen Geschlechterverhältnis.
Auf der nächsten Seite erfahrt ihr, wie es mit den Delfinen aus dem konstruierten Beispielfall weitergeht.
Ich möchte zu meinem Blogbeitrag noch anmerken, dass ich die Szenarien schon vor längerer Zeit als Konzept aufgeschrieben habe, lange bevor der kürzlich öffentlich gewordene Inzuchtfall im Zoo Duisburg bekannt geworden ist.
Ich habe zunächst überlegt, ob ich diesen Beitrag noch veröffentlichen soll, mich aber letzten Endes dafür entschieden, da nun tatsächlich alle in meinem Szenario 1 beschriebenen Dinge irgendwo tatsächlich passiert sind und deutlich machen, wie wichtig eine funktionierende Kooperation für die Haltung von Delfinen ist. Im aktuellen Fall würde ich dem Zoo Duisburg nie einen Vorwurf machen, weil ich auch die Hintergründe der Zuchtbuchsituation in Europa kenne und die Folgen des einseitigen politischen Drucks in mehreren Ländern, wo Delfinarien aus ideologisch verklärten Gründen geschlossen worden sind, ohne einen Plan zu haben, was mit diesen Tieren geschieht und auch welche Konsequenzen es für die verbleibenden Zoos hat. Wie ich schon in einer niederländischen Zeitung geschrieben habe, werden als Konsequenz aus der planlosen Hetze gegen Delfinhaltungen irgendwann alle jetzt unter strengen Regeln gehaltenen europäischen Delfine an neue Halter in der weiten Welt verschachert, die sich gar nicht um Tierschutz, Erhaltungszucht und Bildungsarbeit scheren. Bisher hat keine der durch Aktivisten initiierten politischen Beschlüsse zur Verbesserung der Lebensverhältnisse geführt, sondern nur dazu, dass Tiere aus kontrollierter Haltung entfernt werden mussten und nun nicht mehr greifbar sind für die Erhaltungszucht, das Tierwohl und die Forschung und führte gleichzeitig indirekt auch zu Problemen an anderen Orten wie nun auch hier in einem deutschen Zoo.
Vielen Dank für deine Ergänzung, Benjamin!
Ich sehe es ähnlich wie du: Aktivisten, die im Namen des Tierschutzes agieren, ist überhaupt nicht bewusst, dass sie mit den Schließungsforderungen von seriös und wissenschaftlich betriebenen Delfinarien in keinster Weise zum Wohlbefinden der Tiere beitragen. Auch führen grenzwertige Aktionen (zum Beispiel das Springen in Delfinbecken, um gegen die Haltung zu protestieren) nicht dazu, dass ein einziger in freier Natur lebender Delfin, der immensen menschengemachten Gefahren ausgesetzt ist, besser geschützt wird.