Eine Tierleiche liegt auf dem Edelstahltisch. Daneben sind ein Tablett mit scharfen Klingen sowie Zangen und Gartengeräte platziert.
Neben dem Tisch stehen Anna Turns und Rob Deaville. Die Journalistin und der Biologe begeben sich für den Guardian auf Spurensuche.
Akribisch wie ein Kriminologe geht der Schweinswal-Experte Deaville vor, um die Todesursache des vor ihm liegenden Tieres herauszufinden.
Auch Anna Turns kennt sich mit Meeressäugern aus. Sie fotografiert seit ca. 15 Jahren für das Marine Strandings Network des Devon Wildlife Trust gestrandete Schweinswale.
Äußere Merkmale verraten oft schon die Todesursache
Der Schweinswal, bei dem die Obduktion durchgeführt wird, wurde im März am Strand von Barmston, Yorkshire, gefunden. Auffallend war, dass seine Rückenflosse fehlte.
Schon äußere Merkmale verraten etwas über die Todesursache. So deuten Zahnabdrücke auf einen Delfin-Angriff hin, eine fehlende Schwanzflosse lässt mutmaßen, dass sich das Tier in einem Fanggerät verheddert hatte. Risse auf der Haut rühren wahrscheinlich von Bootspropellern her.
Obduktionsteam besteht aus verschiedenen Experten
Normalerweise liegt es in der Verantwortung des Landbesitzers, einen toten Wal (einschließlich aller Wale, Delfine und Schweinswale), der an seinem Strand angespült wird, zu entsorgen. Aber wenn der Kadaver frisch genug ist, kann das Tier nach London geschickt werden, wo ein Obduktionsteam – bestehend aus Strandungswissenschaftlern, Toxikologen und Pathologen – versucht, nicht nur zu entschlüsseln, wie das Tier starb, sondern auch wie es lebte.
Pro Jahr 150 Obduktionen von Walen
Jedes Jahr werden etwa 150 Wale durch das Cetacean Strandings Investigation Program (CSIP) obduziert. In den 32 Jahren, in denen das Programm im Vereinigten Königreich läuft, wurden etwa 4.500 Autopsien durchgeführt.
Mit Lineal und Kreissäge ans Werk
Folgende Werkzeuge kommen bei einer Obduktion zum Einsatz: ein Lineal, Messschieber, verschiedene Pinzetten und scharfe, 10 cm lange Klingen. Es liegen aber auch ein Schraubenzieher, eine Gartenschere und eine Kreissäge bereit.
Erster Eindruck
Zuerst schaut sich Rob Deaville den Körper des toten Schweinswals genau an. Macht dieser einen eher abgeflachten als abgerundeten Eindruck, weist das auf einen schlechten Ernährungszustand hin.
Die Körperlänge sowie der Zustand der Zähne verraten etwas über das Alter des Tieres.
Ein Blick unter die Genitalschlitze – Wale verbergen den Penis, wenn sie sich nicht paaren – bestätigt, dass es sich bei dem oben erwähnten Tier um ein Männchen handelt.
Fehlende Rückenflosse
Am auffälligsten ist im oben erwähnten Fall die fehlende Rückenflosse.
Die zerklüftete Kante lässt vermuten, dass sich Aasfresser über den Meeressäuger hergemacht haben.
Einige heilende Wunden am Rand der Flosse könnten von einem Kegelrobbenangriff stammen. Es gibt ähnliche Markierungen um den Kopf, die Brustflossen und entlang der linken Körperseite.
Andere frische Abschürfungen an der Fluke deuten darauf hin, dass dieses Tier lebend angespült und dann durch Bewegungen auf dem rauen Untergrund verletzt wurde.
Im Speck befinden sich oft giftige Schadstoffe
Einige der wertvollsten Informationen stammen aus dem Speck, der Fettschicht unter der Haut, die als Isolierung und Energiespeicher fungiert.
Im Speck sammeln sich oft fettliebende, giftige Schadstoffe an. „Das ist die wichtigste Probe, weil sie für die Schadstoffanalyse verwendet wird“, sagt Deaville, während er ein etwa 2,5 cm dickes Speckrechteck nahe der Basis der Rückenflosse abschneidet.
Datensatz zu Meeresschadstoffen
Das CSIP verfügt über einen der weltweit größten Datensätze von in Walen vorkommenden Meeresschadstoffen.
Im Laufe der Jahre haben die Mitarbeiter des CSIP tote Tiere auf eine Vielzahl von Schadstoffen getestet – vom Pestizid DDT bis hin zu „Antifouling“-Mitteln, die auf Booten verwendet werden.
Einige giftige Chemikalien, wie Flammschutzmittel aus Möbeln und Textilien, sind rückläufig; andere, wie PFAS oder „Forever Chemicals“, sind besonders widerstandsfähig gegen den Abbau.
Deaville ist am meisten besorgt über die Belastung mit PCBs (polychlorierte Biphenyle). Das sind synthetische Industriechemikalien, die seit den 1980er-Jahren zwar weltweit verboten sind, sich aber weiterhin in Meeressäugern anreichern.
Fortpflanzung wird beeinträchtigt
Die Chemikalien reduzieren die Immunfunktion eines Tieres und beeinträchtigen die Fortpflanzung. „So kann es sein, dass eine Population von Walen lange Zeit kein Kalb bekommt, obwohl sie reproduktionsaktiv sein sollte“, erklärt Deaville.
Bei Aufprall entstehen Blutungen
Als Deaville die Speckschicht abschält, zeigt er auf verschiedene rote Johannisbeergelee-ähnliche Bereiche mit Blutungen. Sie liefern den Beweis, dass der Schweinswal bei der Strandung auf Felsen geprallt ist.
Nun geht es ans Eingemachte
Der Pathologe entfernt einen Teil der Muskeln vom Brustkorb. Mit einer Gartenschere schneidet er die knochigen Rippen durch.
Danach nimmt Deaville Abstriche von der Lunge, der Milz, der Leber und der Niere. Diese Proben erhält ein Bakteriologe, der die Organe auf Infektionen untersucht.
Deaville entdeckt einige feste weiße Knötchen auf der Leber. Diese deuten auf einen Parasitenbefall hin. Schweinswale sind relativ häufig von Parasiten befallen.
Als Nächstes wiegt er einen der Hoden. Männliche Schweinswale investieren viel Energie in die Paarung, produzieren viel Sperma und haben dadurch relativ große Hoden.
Die chemische Verschmutzung des Wassers wirkt sich jedoch auf die Größe der Hoden aus: Eine Studie von Rosie Williams, einer Toxikologin, die mit Deaville zusammenarbeitet, stellte 2021 fest, dass ein hoher PCB-Wert mit einer reduzierten Hodengröße bei männlichen Schweinswalen korreliert.
Was hat den Schweinswal getötet?
Doch nun zur Frage, was den Schweinswal letztendlich getötet hat.
* „Es gab Hinweise auf einen Nährstoffverlust und eine Rückbildung der Hauptmuskelgruppen“, sagt Deaville.
* Die in verschiedenen Organen gefunden Parasiten töteten den Meeressäuger wahrscheinlich nicht.
* Die Läsionen um den Kopf herum stimmen mit früheren, nicht tödlichen Kegelrobben-Wechselwirkungen überein, zählt Deaville weiter auf.
* Es könnte sein, dass der Schweinswal lebend gestrandet ist, weil er eine Infektion hatte. Doch eine eindeutige Todesursache ist bis dahin noch nicht festzulegen.
Schäden durch Netze sind leichter auszumachen
Die Todesursache lässt sich leichter feststellen, wenn der Schweinswal in Fischereigerät geraten ist. Dann weisen zum Beispiel Netzmarken auf der Haut auf dieses Ereignis hin.
Anders ist es bei chemischen Verschmutzungen. Diese führen zu chronischen Gesundheitsschäden, die das Tier dann letztendlich töten.
Es kann bis zu einem Jahr dauern, bis die toxikologischen Einschätzungen vorliegen.
Deaville vermutet, dass der in Yorkshire gefundene Schweinswal an einem Cocktail von Faktoren gestorben ist.
(Quelle: The Guardian)