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Wal-Sprache nicht vermenschlichen


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Meeresakrobaten, 24. Mai 2024

Springender Buckelwal
(Foto: Roland Edler)

Im letzten Jahrzehnt gab es eine Fülle neuer Forschungen zu einigen der faszinierendsten Geräusche im Meer: den Lautäußerungen von Walen und Delfinen.

Mit Walen reden wie mit dem Nachbarn

In aktuellen Presseartikeln (siehe Lesetipps unten) werden Studien zu diesen Lautäußerungen dahingehend interpretiert, dass die Wale eine menschenähnliche Sprache benutzen würden.

Wenn wir nur die richtigen Werkzeuge fänden, so suggerieren manche Autoren, könnten wir die Wal-Sprache entschlüsseln und anfangen, mit Walen zu reden, so wie wir mit unseren Nachbarn reden.

Ein Biologie-Wissenschaftler klärt auf

Luke Rendell, Biologie-Dozent an der University of St Andrews, schreibt in seinem Artikel Are we really about to talk to whales? („Werden wir wirklich mit Walen reden?“), dass man die Lautäußerungen der Wale nicht überbewerten sollte.

Rendells Forschungsinteressen sind breit gefächert und konzentrieren sich hauptsächlich auf die Entwicklung von Lernen, Verhalten und Kommunikation, mit besonderem Schwerpunkt auf Meeressäugetiere.

Ich habe mir Rendells Artikel durchgelesen und im Folgenden ein paar seiner Überlegungen zusammengefasst.

Studie zu Klickmustern

Besonderes Aufsehen erregte in letzter Zeit (siehe Lesetipps unten) eine Studie, die sich mit der detaillierten Analyse der Klickmuster, den sogenannten Codas, befasst. Diese Klicklaute benutzen Pottwale sowohl zur Kommunikation als auch zur Jagd. In der Studie wird dargelegt, dass die Wale synchron das Tempo ihrer Codas ändern, wenn sie diese im Austausch untereinander verwenden.

Großer Pottwal
(Foto: Susanne Gugeler)

Synchroner Chorgesang

Rendell hält dagegen: Synchrone Chorgesänge gäbe es aber nicht nur bei Walen. Sie kämen im gesamten Tierreich vor, beginnend bei Glühwürmchen bis hin zu Primaten.

Nur wenige Tierdarbietungen sind – laut Rendell – so atemberaubend synchronisiert wie der vierstimmige Chorgesang von Zaunkönigen. Zaunkönige signalisieren mit paarspezifischen Duetten, dass sie sich ihren Partnern verpflichtet fühlen.

Benutzen Wale ein Alphabet?

Nichtsdestotrotz sind die Erkenntnisse über Pottwale spannend und passen zu unserem allgemeinen Verständnis davon, dass Codas eine soziale Bindungsfunktion haben.

Aber manche Wissenschaftler versuchen, diese Tempoänderungen in ein „phonetisches Alphabet“ zu zwingen, „wie das Internationale Phonetische Alphabet für menschliche Sprachen“, und es ist diese letztere Behauptung, die für Schlagzeilen gesorgt hat.

Laut Rendell gibt es jedoch keinen Beweis dafür, dass Pottwale diese unterschiedlichen Tempi auch nur annähernd in den komplexen Sequenzen verwenden, die die menschliche Sprache charakterisieren.

Neugieriger Pottwal
(Foto: Susanne Gugeler)

Bessere Beweise für komplexe Sequenzierungsregeln gäbe es bei bestimmten Finkenarten. Der Biologie-Dozent fragt sich, warum wir keine Schlagzeilen über phonetische Alphabete oder bevorstehende Gespräche mit diesen Vögeln sehen.

Pottwal-Klicks sind keine Sprache

Rendell schreibt in seinem Artikel, dass der Höhepunkt seiner Karriere in der Wissenschaftskommunikation war, die BBC davon zu überzeugen, Pottwal-Klicks in ihrer Serie „Blue Planet II“ nicht als „Sprache“ zu bezeichnen. Warum?

Bei Walen findet eine komplexer Kommunikation statt, von der wir vieles noch immer nicht verstehen. Rendell ist jedoch davon überzeugt, dass wir die tierische Sprache nicht vermenschlichen sollten.

Wale sind nicht menschen-ähnlich

Wir sollten uns davor hüten, Arten in einer einzigen Dimension im Verhältnis zum Menschen einzustufen, als ob die gesamte Evolution ein Weg zu etwas wie uns wäre (ähnlich wie frühe Anthropologen Gesellschaften nach ihrem Fortschritt in Richtung westlicher „Perfektion“ einordneten), mahnt Rendell.

Blas eines Pottwals
(Foto: Susanne Gugeler)

Der Wissenschaftler fordert uns dazu auf, von der obersten Sprosse der Leiter zu steigen und andere Tiere als eigenständige Zweige eines Evolutionsbaums zu betrachten.

Auf der Suche nach außerirdischer Intelligenz

Laut Rendell sind Forschungsgruppen, die das Sprechen mit Walen forcieren, auch mit der Suche nach außerirdischer Intelligenz beschäftigt oder benennen sich nach ihr. Die Leiter einer Gruppe, Project Ceti, argumentieren, dass es uns helfen wird, die „Sprache“ der Wale zu verstehen, wenn wir Außerirdischen begegnen.

Hype und Halluzinogene

Es gab bereits vor mehreren Jahrzehnten den Versuch, die Lautäußerungen der Meeressäuger mit der Sprache der Menschen gleichzusetzen. Auch John Lilly lehnte sich an die SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence) an und vertrat die Idee, dass Delfine eine außerirdische Intelligenz mit einer komplexen Sprache seien.

Seine schwachen Beweise gründeten jedoch auf Hype und Halluzinogenen.

Pottwal-Modell im Multimar Wattforum
(Foto: Frank Blache)

Seriöse wissenschaftliche Erkenntnisse beachten

Luke Rendell bedauert, dass Lillys Behauptungen die wichtige Entdeckung der Signaturpfiffe von Großen Tümmlern viel zu lange im Schatten hielten und eine Wolke des Verrufs über den gesamten Bereich der Wal-Kommunikation verbreiteten, die sich erst nach Jahrzehnten auflöste.

Es wäre tragisch, wenn die wichtigen Erkenntnisse von heute aufgrund unverantwortlicher Behauptungen und einer engen Fokussierung auf die Sprache das gleiche Schicksal erleiden würden.

Rendell appelliert an uns, dass wir uns bemühen sollten, diese großartigen Kreaturen als das zu verstehen und wertzuschätzen, was sie sind, und nicht dafür, wie sie unsere „kosmische Einsamkeit“ beruhigen könnten.
(Quelle: Are we really about to talk to whales?)

Lesetipps

* Mehr als nur ein paar Klicks
* Klicken Pottwale mit einem “phonetischen Alphabet”?
* Kommunizieren Pottwale menschenähnlich?
* Interessante Forschungsprojekte

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