Meeresakrobaten, 5. Oktober 2015
Nachtrag vom 26. Oktober 2015: Der Sowerby-Zweizahnwal ist wahrscheinlich tot, wie das Deutsche Meeresmuseum heute mitgeteilt hat.
Seit ein paar Wochen schwimmt ein sogenannter Irrgast in der Ostsee. Der in der Nähe von Wismar beobachtete Schnabelwal hat seinen natürlichen Lebensraum eigentlich in der Nordsee oder im Atlantik. Warum er sich in die Ostsee verirrt hat, weiß man nicht.
Biologen vom Meeresmuseum in Stralsund sind sich sicher, dass es sich um einen Sowerby-Zweizahnwal handelt. Der Name Sowerby stammt von seinem Erstbeschreiber, dem Naturforscher James Sowerby (1757 bis 1822).
„Die Familie der Schnabelwale stellt die zweitgrößte Artenzahl unter den Walen. Es handelt sich durchgehend um ozeanische Tintenfischfresser, also um Arten, für die es in der Ostsee keine Nahrung gibt.“ (Zitat aus „Meer und Museum, Band 23“)
Heringe statt Tintenfische
Der in der Ostsee beobachtete Schnabelwal scheint noch ein relativ junges Tier zu sein. Da in der Ostsee viele Heringe schwimmen, wird der Schnabelwal wohl auch nicht verhungern. Doch seine Hauptnahrung sind – wie oben erwähnt – Tintenfische, die er nur in tiefen Meeresregionen findet.
Tier strandete bereits
Michael Dähne ist Kurator für Meeressäugetiere am Meeresmuseum in Stralsund. Er beobachtet den in der Ostsee schwimmenden Schnabelwal mit Sorge. Denn alle Schnabelwale, die bisher in der Ostsee gesichtet worden sind, sind früher oder später gestrandet und verendet.
Gestrandet war der Schnabelwal auch schon. Doch beherzte Helfer hatten ihn zurück in tieferes Wasser geschoben.
Wal möglichst nicht stressen
Dähne appelliert an Whale-Watcher, dass sie genügend Abstand zum Tier halten sollten, da es sonst nur unnötig gestresst würde. Sie sollen nicht näher als 200 Meter an den Wal heranfahren. Auch sollten Motor und Echolot ausgeschaltet werden, um das geräuschempfindliche Tier nicht zu irritieren. Der Mitarbeiter des Meeresmuseums weist außerdem darauf hin, dass sich der Schnabelwal auch gut von der Küste aus beobachten ließe.
Seit über 100 Jahren das erste Tier
Ein Sowerby-Zweizahnwal wurde bisher nur 1913 in der deutschen Ostsee dokumentiert. In der gesamten Ostsee wurden seit 1880 elf dieser seltenen Tiere nachgewiesen. Die letzte Strandung ist für 1992 im nördlichen Kleinen Belt/Dänemark belegt.
(Quellen: Die Welt und Meer und Museum, Band 23, Schriftenreihe des Deutschen Meeresmuseums und OZEANEUMs, 2011)
Steckbrief
Größe: 4 bis 5 Meter
Gewicht: 800 bis 1.000 Kilogramm
Nahrung: Tintenfisch
Vorkommen: östlicher Nordatlantik: Finnland bis Biskaya und Azoren; westlicher Nordatlantik: Neufundland bis Cape Hatteras (USA), gelegentlich auch südlich bis Florida; am häufigsten in der nördlichen Nordsee und um Norwegen
Bestand: keine Daten
Tauchtiefe und Tauchdauer: taucht 1 bis mehrere Minuten an der Oberfläche auf und atmet 5-mal hintereinander tief ein
Der Sowerby-Zweizahnwal (Mesoplodon bidens) ist schlanker als andere Schnabelwale. Seine Oberseite ist schiefergrau, die Unterseite und die Seiten blaugrau bis weiß. Bei den Männchen stehen im Unterkiefer seitlich zwei Zähne weg. Die Art lebt wahrscheinlich einzeln oder paarweise, denn bei Strandungen hat man nie mehr als zwei Tiere gefunden.
Benennung
* Deutsch: Sowerby-Zweizahnwal, Sowerby-Schnabelwal
* Wissenschaftlich: Mesoplodon bidens; „mesos“, „hopla“ und „odon“ = „Zahn inmitten des Maules“; „bidens“ = „zweizähnig“
* Englisch: Sowerby’s Beaked Whale
Locker verwandt mit den Delfinen
Bei der Schnabelwal-Familie handelt es sich um mittelgroße Tiere mit einer Körperlänge von 4,5 bis 9 Meter. Die kümmerliche Bezahnung – oft nur ein Paar großer Zähne im Unterkiefer neben sehr verkümmerten Zähnen entlang des Zahnfleisches im Ober- und Unterkiefer – deutet auf eine lockere Verwandtschaft mit den eigentlichen Delfinen (Familie Delphinidae) hin, die im Ober- und Unterkiefer etwa bis zu 40 Zahnpaare besitzen.
Die Gruppe der Schnabelwale ist erkennbar an einer langen schmalen Schnauze, kleinen Brustflossen und einer hinter der Körpermitte liegenden dreieckigen Rückenflosse.
Ihr häufigster Vertreter ist der Sowerby-Zweizahnwal, dessen Zahnpaar genau in der Mitte des Kiefers steht.
Es gibt auch andere Gäste in der Ostsee
Im Mai 2015 wurden in der deutschen Ostsee zwei Große Tümmler gesehen. Diese Delfinart macht immer wieder einen Abstecher in die Ostsee, auch wenn das nicht ihr natürlicher Lebensraum ist.
Vor gut einem Jahr wurden in der deutschen Ostsee zwei Buckelwale gesichtet. Auch diese Walart kommt normalerweise nicht in der Ostsee vor.
Natürlicher Lebensraum für Schweinswale und Robben
Die Ostsee ist der natürliche Lebensraum für die einzige in deutschen Gewässern vorkommende Walart – nämlich den Schweinswal.
Außerdem gibt es hier drei heimische Robbenarten: den Seehund, die Kegelrobbe und die Ringelrobbe.
Das Meeresmuseum Stralsund hat einen Blog eingerichtet, in dem man sich aktuell über den Schnabelwal informieren kann.
Lesetipps
* Seltene Gäste in der Ostsee
* Wale und Robben in der Ostsee