Gastbeitrag von Benjamin Schulz, 14. November 2016
Der Diplom-Biologe Benjamin Schulz hat sich im EU-Parlament an einer Diskussion über den Delfinschutz in Europa beteiligt. Die Meeresakrobaten bedanken sich ganz herzlich bei Benjamin für diesen interessanten Artikel aus Brüssel.
Benjamin schreibt bereits seit mehreren Jahren für die Meeresakrobaten im Biologen-Blog über seine Erfahrungen mit Delfinen und das Thema Delfinschutz.
Ankunft in Brüssel
Brüssel ist eine chaotische Stadt. Das musste ich selbst in der vergangenen Woche erleben. Sie erinnert mich sehr an New York, mit dem Verkehr auf sechsspurigen Straßen (in eine Richtung) und den quadratischen Häuserblöcken, die vor allem im Regierungsviertel des EU-Parlaments so geometrisch perfekt angelegt worden sind. Nur die Hochhäuser sind natürlich nicht ganz so hoch wie in New York.
Es regnete leider in Strömen an diesem Tag. Und Parkplätze in der Nähe des Parlaments gibt es auch nicht so wirklich.
Na gut, ich war nicht der Einzige an diesem Tag, der in einem Anzug über rutschiges Pflaster und durch tiefe Pfützen eilte. Alles also wie in New York.
Nur die ständige Präsenz des Militärs war anders. In Belgien herrscht leider immer noch der Ausnahmezustand nach den Terroranschlägen. Ein mulmiges Gefühl. Wieder fährt ein Schützenpanzer an mir vorbei. Der Dieselgeruch zieht extrem durch die Straßenschluchten. Überall stehen schwerbewaffnete Soldaten. Sie sollen Sicherheit vermitteln. Klappt bei mir aber nicht.
Endlich angekommen. Das EU-Parlament in Brüssel ist ein riesiger Komplex aus mehreren Gebäuden. Man soll sich wohl klein fühlen, wenn man eintritt. Heute sind die Rolltore der Gebäude geöffnet. Ich komme ja auch an einem Arbeitstag, nicht an einem Wochenende wie es manche Spendensammler tun, die nur für ein Werbefoto da sind.
Vortrag im EU-Parlament
Erst am Montag zuvor kam die Einladung per Post: Ich sollte doch bitte in einer Diskussionsrunde zum Delfinschutz in Europa einen Vortrag halten.
Tja, mit so etwas musste ich wohl rechnen, weil ich ja jetzt an einem Bundesinstitut arbeite. Und dann bin ich ja auch noch Parteimitglied geworden. Ich hatte es herausgefordert. Und jetzt sollte ich in wenigen Tagen einen Vortrag im EU-Parlament vorbereiten. Das kommt davon.
Delfine in Brüssel – Es geht um die Zukunft
Delfine und Wale brauchen mehr Schutz. Diesen Konsens hatten die Politiker in der EU schon lange erzielt, doch die Frage – wie genau – wurde meistens nicht erörtert.
Wie bringt man vor allem die verschiedenen Zuständigkeitsbereiche zusammen, damit europaweiter Delfinschutz gelingen kann?
Die Antwort darauf soll nun ein transnationales Strandungsnetzwerk geben. Als Vorbild gelten die USA, in denen seit Jahrzehnten länderübergreifend Behörden, Universitäten, naturwissenschaftliche Museen, zoologische Einrichtungen und Aquarien das weltweit dichteste Netzwerk sowohl zur Rettung gestrandeter Meeressäuger als auch zur Untersuchung der Strandungs-Ursachen gemeinsam betreiben.
Aufbau eines transnationalen Strandungsnetzwerks
Der Gesprächskreis aus Abgeordneten, Professoren von Universitäten, Tierärzten, Meeresbiologen tagte zu diesem Thema jetzt zum ersten Mal. Wiederholungen sind bereits geplant. Ich bin froh, dass ich schon beim ersten Mal mit dabei sein konnte.
Mein Vortrag zum Thema lautete: „Die Möglichkeiten betreuter Meeresbuchten im Verbund mit dem transnationalen Strandungsnetzwerk“.
Die umweltpolitischen Hintergründe und internationalen Regularien hinter solchen Einrichtungen sind vielfältig und kompliziert.
Im weiteren Gespräch mit den Abgeordneten nach meinem Vortrag, der mir viel Feedback eintrug, wurde deutlich, dass viele sich mehr Klarheit in diesem Thema wünschen, welches zurzeit vor allem von Tierrechtsgruppen ohne Sachverstand für sich eingenommen wird.
So konnte ich einige im direkten Gespräch davon überzeugen, dass eine wissenschaftlich objektive Analyse nötig ist, um solche Projekte zu bewerten.
Oftmals stecken halt doch nur Spendensammler dahinter und die Umsetzung ihrer Ziele ist realitätsfremd, häufig illegal und auf jeden Fall tierfeindlich.
Betreute Meeresbuchten sollen kommen
Doch eines ist klar: betreute Meeresbuchten für Meeressäugetiere sollen kommen. Mit den Forderungen von Tierrechtsgruppen jedoch werden diese nur wenig gemeinsam haben.
Es wird strengste Vorschriften und Pflichten geben für die Betreiber solcher Anlagen in Bezug auf Tierschutz und professionelle Versorgung. Das ist wichtig, denn für die Tierhaltung in Europa gibt es auch in Zoos strenge Vorschriften.
Ein Missbrauch der Anlagen soll verhindert werden
Die Gesetze, die nun entworfen werden, sollen einen Missbrauch solcher Anlagen von esoterisch verklärten Tierrechtlern genauso wie von skrupellosen Geschäftsleuten (manchmal kann man beide nicht so gut auseinanderhalten) verhindern.
Die große Frage ist: Wie kann man betreute Meeresbuchten nutzen, damit auch gestrandete Wildtiere davon profitieren?
Anders als z.B. in den USA, wo die gestrandeten Großen Tümmler zur selben Population gehören wie in den Delfinarien, gibt es in europäischen Gewässern große genetische Unterschiede zwischen den einzelnen Populationen und den in Menschenhand gehaltenen Tieren.
Verletzte Delfine sollen medizinisch versorgt werden
Eine Mischung dieser Populationen ist aus Artenschutzgründen verboten. Und selbstverständlich kümmert sich das Strandungsnetzwerk um mehr Arten als nur den Großen Tümmler.
Für alle gilt: Eine Auswilderung der rehabilitierten Tiere ist das Ziel. Doch wenn das nicht möglich ist?
Auf keinen Fall soll es zu einer solch lebensverachtenden Situation kommen wie im Vereinten Königreich, in dem es keine Rehabilitationszentren gibt und Tiere entweder selbst wieder schwimmen können oder getötet werden.
Doch ein Großteil der gestrandeten Tiere braucht zumindest eine Zeitlang medizinische Hilfe.
Meeresbuchten sollen den Tieren während und nach der Rehabilitation die Möglichkeit geben, wieder das Leben in der Wildbahn zu lernen und Kräfte zu sammeln, bevor es wieder ganz in die Freiheit zurückgeht.
Aber es soll zum Schutz der bedrohten Meeressäuger nicht nur reagiert werden, es soll auch proaktiv gehandelt werden. Forscher, Veterinäre und Tierpflege-Experten sollen nicht einfach nur darauf warten, dass ein oder mehrere Tiere stranden.
Strandungen sollen verhindert werden
Durch bessere lückenlose Beobachtung der wilden Populationen sollen zukünftig mehr Strandungen verhindert werden, indem man die Ursachen dahinter erforscht.
Zudem sterben viele schwache oder verletzte Tiere draußen im Meer, ohne je zu stranden. Solche Tiere können dann auch aktiv aufgenommen werden. Ein großer Schritt weg von der passiven Hilfe zu mehr aktivem Eingreifen.
Kontrolle und Bildung
Auch eine Patrouille für besonders gefährliche Gegenden, in denen immer wieder Delfine in Netzen umkommen oder mit schnellen Booten und Jetskis kollidieren, sollte es geben. Und selbstverständlich bieten die Zentren etwas sehr Wichtiges: Bildung.
Details müssen noch geklärt werden
Natürlich sind immer noch viele Fragen offen und Details müssen nun in den nächsten Jahren schnell geklärt werden, damit Hilfe bald ankommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich in Zukunft öfter mit solchen Projekten ganz offiziell beschäftigen werde, steigt also. Genauso wahrscheinlich die Besuchshäufigkeit in Brüssel. Hoffentlich ist dann besseres Wetter.
Vielen Dank für deine Antwort, Benjamin! ;o))
Vielen Dank für eure Beiträge, Oliver und Norbert!
Dass eine Betreuung von gestrandeten Delfinen oder anderen Kleinwalen nicht einfach ist, sieht man deutlich an den immer mal wieder vergeblichen Bemühungen der SOS-Station in Harderwijk. Leider überleben nicht alle verletzten oder kranken Tiere.
Man muss aber auch sagen, dass die Überlebensrate von gestrandeten Schweinswalen immer höher wird, weil das Know-how zunimmt.
Dieses zunehmende Wissen, das aus Delfinarien und SOS-Stationen herrührt, wird in die geplanten betreuten Einrichtungen selbstverständlich mit einfließen. Ich denke auch, dass man auf eine Mehrbeckenanlage nicht verzichten kann, in die ein stark verletztes Tier erst einmal zu Kräften kommen muss, bevor es in ein Meeresgehege umgesetzt werden kann.
Eine betreute Meeresbucht muss tatsächlich viele Sicherheitskriterien erfüllen. Das sehe ich ähnlich wie Norbert.
Der Fall von Marcos zeigt dies deutlich. Marcos war ein Streifendelfin, der 2012 im südlichen Spanien gestrandet ist. Er wurde in einer abgegrenzten Bucht gehalten. Man muss leider sagen, dass dies mit eher weniger Sachverstand geschah. Ein Unwetter hat ihn auf die Felsen geworfen. Leider hat Marcos dies nicht überlebt.
http://www.meeresakrobaten.de/2013/02/marcos-ist-tot/
Bis jetzt handelt es sich in Brüssel aber erst einmal um eine Idee. Deren Umsetzung wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen.
Hallo Benjamin,
danke für Deinen Bericht aus Brüssel. Es freut mich, dass Du mit Deinem Sachverstand die Entscheidungsträger dort beraten konntest.
Gibt’s von Deinem Vortrag eine Zusammenfassung?
Ich denke, das wär auch für die anderen Meeresakrobaten-Freunde ein interessantes Theama!
Die „betreuten Meeresbuchten“ werden von den meisten Tierpflegern abgelehnt und haben sich auch in der Karibik meist als eher schlechte bis sehr schlechte Idee erwiesen:
1. Die sofortige Zugänglichkeit der Tiere in Notfällen ist schlecht bis gar nicht gewährleistet
2. Das Gehege kann nicht gegen Eindringlinge geschützt werden. Dabei sind sowohl Gifttiere (Stechrochen etc.) als auch Krankheitsüberträger (kranke Vögel, Fische mit Parasitenbefall) ein echtes Problem, wenn Delfine aufgepäppelt werden sollen.
3. Die Buchten können kaum oder gar nicht gegen Stürme geschützt werden. Laufen wiederholt Brecher in die Bucht, können auch Delfine sehr schnell ertrinken!
4. Die Übertragung und Ausbreitung von Infektionen ist bei geschwächten Tieren kaum oder gar nicht zu kontrollieren, da das Wasser beim Auftreten von pathogenen Keimen nicht desinfiziert werden kann.
5. Die Wassertemperatur folgt zwangsläufig den Jahreszeiten, was für geschwächte Tiere schnell das vorzeitige Ende bedeuten kann.
Diese Buchten taugen also bestenfalls als Trainingsgelände unmittelbar vor einer Auswilderung und ersetzen keinesfalls eine moderne Mehrbeckenanlage, die vor Wind und Wetter geschützt ist.
Zudem wird auch eine solche Bucht eher einer (gemauerten) Hafenanlage ähneln (müssen), als einem vermeintlichen Delfinparadies (wobei kein Mensch weiß, wie sich Delfine ihr Paradies wohl vorstellen mögen).
Auch als Gnadenhof für nicht auswilderungsfähige Tiere wird eine solche Anlage kaum taugen, da die meisten Einschränkungen auch das Leben in einer naturnahen Bucht erhebliche erschweren würden. Als Beispiel sei hier die Orca-Kuh Morgan genannt: Bei Einschränkungen des Hörvermögens bzw. Verlust des Sonarsinns ist glasklares – und damit aufbereitetes – Wasser die Voraussetzung für ein entspanntes Leben. Das kann eine „betreute Meeresbucht“ nicht bieten.
An Norbert: Danke für deinen ausführlichen Kommentar. Ich möchte zunächst noch einmal deutlich machen, dass viele Details sowohl noch geklärt werden müssen als auch erstmal intern besprochen werden. Alle Kritikpunkte, die du angesprochen hast sind den Fachleuten durchaus bekannt und es gibt ein Konzept, dass alle diese Schwachpunkte weitgehend verbessern bzw. abstellen kann.
Von deiner Reaktion her deute ich, dass du eventuell dieses Vorhaben für ein Tierrechtlerprojekt hälst. Das ist nicht so. Details dazu kann ich aber noch nicht öffentlich machen.
Zwei Dinge möchte ich aber noch sagen: Meeresgehege für Delfine sind nicht grösstenteils eine schlechte Idee sondern können professionell gemanagt werden ohne dass es Abzüge im Tierwohl gibt. Welche Tierpfleger eventuell diese Einrichtungen als schlecht betrachten hängt zudem oft auch davon ab, wo man gerade arbeitet. Wir sind diesbezüglich mit den Managern mehrerer Meeresgehege im Kontakt die es geschafft haben, erfolgreich Delfine zu halten, züchten und exzellent zu versorgen.
Und zum Thema Gnadenhof für nicht auswilderungsfähige Delfine: Dies ist gar nicht das Thema des Vorhabens oder meines Beitrags gewesen. Das ist nur Wunschdenken von Tierrechtsgruppen. Damit befassen wir uns nicht. Solch ein Tier wie Morgan wäre sowieso gar nicht geeignet, in einer Meeresbucht zu leben. Das hat wie du gesagt hast natürlich mit ihrem fehlendem Hörvermögen zu tun.
An Oliver: es wird bald erste öffentliche Informationen zu dem ganzen Thema geben. Davor müssen aber noch dringend ein paar Dinge abgeklärt werden mit Behörden und Politik. Vorher werde ich also nichts Genaueres veröffentlichen können, um dem Missbrauch des Themas durch fachfremde Personenkreise vorzubeugen. Ich danke dir für dein Verständnis.
An Susanne: du hast schon genau die richtigen Vorstellungen wie das Ganze aussehen wird ;)
Hallo Benjamin,
ich habe schon verstanden, worum es in Deinem Beitrag geht. Ich wollte lediglich den nicht so tief in der Materie steckenden Mitlesern deutlich machen, dass „Betreute Meeresbuchten“ beileibe nicht die Super-Lösung der Zukunft sind, sondern eher aus der öffentlichen Diskussion entstanden sein dürften.
Auch bestreite ich keinesfalls, dass es (auch) in Meeresbuchten möglich ist, eine exzellente Betreuung der Tiere sicherzustellen. Ich wollte lediglich festhalten, dass eine Meeresbucht genauso viel (wenn nicht sogar mehr) Aufwand erfordert, wie eine moderne Mehrbeckenanlage und eine solche auch eher ergänzen aber wohl kaum ersetzen kann.
Ich bin gespannt, wie sich dieses Vorhaben weiter entwickeln wird.