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Delfine spüren bioelektrische Felder


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Meeresakrobaten, 19. September 2023

Delfine aus dem Nürnberger Tiergarten
(Foto: Tim Hüttner)

Studie über die Elektrorezeption bei Delfinen

Behavioral and anatomical evidence for electroreception in the bottlenose dolphin (Tursiops truncatus) – So lautet der Titel einer wissenschaftlichen Arbeit von Tim Hüttner, Lorenzo von Fersen, Lars Miersch, Nicole U. Czech sowie Guido Dehnhardt.

Bereits 2016 hat Tim den Meeresakrobaten Einblicke in seine Forschungsarbeit „Verhaltens- und anatomische Hinweise auf Elektrorezeption beim Großen Tümmler“ gewährt.

Heute möchte ich die Informationen von damals ergänzen.

Delfine verfügen über einen weiteren Sinn

Es ist hinlänglich bekannt, dass Große Tümmler sowohl ihre Augen als auch ihren Sonarsinn einsetzen, um Beutetiere zu fangen.

Doch vergräbt sich zum Beispiel ein Fisch im Meeresboden, kommt ein weiterer Sinn – nämlich der Elektrosinn – zum Einsatz. Das heißt, der Delfin kann schwache bioelektrische Felder, die von belebten Quellen ausgehen, wahrnehmen. Diese Felder werden unter anderem an den Kiemen der Fische erzeugt.

Vibrissengruben

Die Fähigkeit, bioelektrische Felder zu erkennen, kannte man bereits vom Sotalia (Sotalia guianensis).

Der Sotalia Paco lebte im Delfinarium in Münster
(Foto: Verena Pecsy)

Als Elektrorezeptoren identifizierten die Forschenden damals die sogenannten Vibrissengruben auf dem Oberschnabel der Sotalia-Delfine.

Diese haarlosen Gruben sind stark mit Nervenfasern versorgt. Beim Graben nach Nahrung im Meeresboden könnte die Elektrowahrnehmung dem Meeressäuger helfen, seine Beute zu finden.

Die Vibrissengruben bestehen aus einer reich innervierten, ampullenförmigen Einstülpung der Haut und ähneln damit der Struktur anderer Elektrorezeptoren, wie den Ampullen von Lorenzini bei Haien und Rochen oder den Schleimdrüsen-Elektrorezeptoren des Schnabeltiers.

Anatomische Befunde und Verhaltensexperiment

Da über diese Futtersuchstrategie auch bei Großen Tümmlern (Tursiops truncatus) berichtet wurde, untersuchte Tim die Elektrorezeption bei dieser Art näher.

Dazu nahmen er und andere Wissenschaftler eine anatomische Analyse der Vibrissengruben vor, die bereits bei neugeborenen Tieren am Oberschnabel (Rostrum) zu finden sind. Sie gingen davon aus, dass es sich bei diesen Gruben um potenzielle Elektrorezeptoren handelt. Ihre anatomischen Befunde kombinierten die Forscher mit einem Verhaltensexperiment.

Vibrissen
(Foto: Tim Hüttner, Grafik: Rüdiger Hengl)

Vier Probanden

Vier Große Tümmler aus dem Nürnberger Tiergarten wurden mit akustischen Reizen auf ein Go-/No-Go-Muster trainiert (siehe unten) und anschließend mithilfe akustischer, optischer, mechanischer und elektrischer Reize auf Reizverallgemeinerung und unter bestimmten Bedingungen getestet.

(Zu den akustischen, optischen und mechanischen Reizen mehr unter Forschung im Nürnberger Tiergarten.)

Als Probanten standen Tim folgende Tiere zur Verfügung: Kai, ein fünfjähriges Männchen, sowie Dolly und Donna, zwei zehnjährige Weibchen. Alle Delfine hatten keine vorherige experimentelle Erfahrung. Anke, ein 33-jähriges Weibchen, die leider am 26. April 2020 im Alter von 37 Jahren verstorben ist, war das vierte Tier, das für die Experimente trainiert wurde.

Die experimentellen Sitzungen wurden in einem runden Innenbecken (Durchmesser ungefähr 12 m) mit jeweils einem Tier einmal täglich, normalerweise fünf Tage pro Woche, durchgeführt.

Etwa 20 Prozent der täglichen Nahrung wurden den Delfinen während einer Versuchssitzung verfüttert (1–1,5 kg Hering, Sprotte, Lodde, Tintenfisch und Makrele).

Vorrichtung mit verschiedenen Sinnes-Stimulanzen
1-4: Verschiedene Reizquellen
5: Monitorüberwachung
6: Trainer
(Foto: Tim Hüttner)

Versuchsvorrichtung

Nachdem die Delfine im Vorversuch gezeigt hatten, dass sie die Go-/No-Go-Regel zuverlässig auf akustische, visuelle und taktile Reize anwenden können, war eine perfekte Ausgangsbasis für die Tests zur Elektrorezeption gegeben.

Um zu testen, ob Große Tümmler über eine Elektrorezeption verfügen, wurden schwache elektrische Gleichfelder durch einen speziell angefertigten batteriebetriebenen Elektrofeldgenerator erzeugt, der als Konstantstromquelle fungierte. Zwei in ein PVC-Rohr eingebettete Kupferdrahtelektroden (1 cm lang, 2 mm im Durchmesser und 1 cm Abstand) wurden mit dem elektrischen Feldgenerator verbunden, um einen Stromkreis zu bilden.

Die Elektroden wurden in der Mitte des Geräts über einer Ruheplattform mit einem Abstand von etwa 10 cm von der oberen Tribüne eines stationierenden Delfins installiert. Direkt vor der Melone positioniert, waren die Elektroden für die Delfine nicht sichtbar, sobald sie in Station waren.

Tim mit der Versuchsvorrichtung
(Foto: Tim Hüttner)

No-Go- und Go-Versuche

Ziel war es, den Meeressäugern beizubringen, zu signalisieren, wenn sie ein elektrisches Feld wahrnehmen.

Dafür haben sie zunächst gelernt, in eine Versuchsapparatur unter Wasser zu schwimmen, um dort zu verbleiben. Sobald sie ein elektrisches Signal wahrnehmen, sollten sie die Apparatur wieder verlassen („go“). Gab es kein Signal, sollten sie für mindestens zwölf Sekunden in der Apparatur warten („no go“). Richtige Entscheidungen wurden immer mit einem Fisch belohnt.

Anzahl der Versuche

Anke absolvierte drei aufeinanderfolgende Sitzungen mit 20 Versuchen am schnellsten und erreichte das Lernkriterium nach 109 Versuchen, während Dolly und Donna 820 bzw. 1.058 Versuche benötigten.

Kai führte nie mehr als zehn Versuche pro Sitzung durch, aufgrund anhaltend schlechter Motivation. Er erreichte das Kriterium von ≥80 % richtigen Antworten über drei aufeinanderfolgende Sitzungen mit zehn Versuchen nach 210 Versuchen.

Vom Mechanorezeptor zum Elektrorezeptor

Vibrissen können für ein erfolgreiches Stillen direkt nach der Geburt wichtig sein. Über säugende Ratten wurde berichtet, dass sie sich ohne ihre Vibrissen nicht an die mütterliche Brustwarze anheften können.

Der Delfin erhält einen schwachen Stromreiz
(Foto: Tim Hüttner)

Während neugeborene Delfine noch fast vollständige Vibrissenfollikel einschließlich Haarschaft und Haarpapille besitzen, fehlen diese Merkmale bei erwachsenen Großen Tümmlern.

Bei ihnen verwandeln sich die Vibrissengruben nach der Geburt von einem Mechanorezeptor zu einem Elektrorezeptor – genauso wie beim Sotalia.

Zwar liegen bisher nur Studien zu Sotalia und Großem Tümmler vor, aber die experimentellen Hinweise auf Elektrorezeption legen nahe, dass sie in dieser Meeressäugetiergruppe weit verbreitet sein könnte.

Pottwale und Telekommunikationskabel

Pottwale haben sich früher oft in unterseeischen Telekommunikationskabeln verheddert. Nachdem die Kabel neu konstruiert wurden und infolgedessen keine elektrischen Felder mehr aussendeten, kamen diese Unfälle weniger oft vor.

Zur Elektrorezeptions-Studie von Tim Hüttner ist eine Folgestudie in Vorbereitung.
(Quellen: American Association for Anatomy, Uni Rostock und Forschung im Nürnberger Tiergarten)

Lesetipps

* Die Sinnesorgane der Delfine
* Seitenlinienorgan bei Schweinswalen
* Forschung im Nürnberger Tiergarten

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