Zu Besuch bei Günther Behrmann
Endlich konnte ich es wahr machen: Elf Jahre, nachdem ich den bekannten Wal-Experten Günther Behrmann während eines Walforschungs-Projekts auf Sylt kennengelernt hatte, gab es im August 2007 ein Wiedersehen in Bremerhaven. Günther wohnt nicht nur seit langer Zeit in Bremerhaven, sondern er war dort auch jahrelang Leiter des Nordseemuseums.
Wal-Experte
Günther Behrmann ist Fachmann auf vielen Gebieten. Etliche Pottwal-Skelette hat er im Lauf seines Lebens zusammengesetzt und wurde durch seine Arbeit ein international angesehener Wal-Präparator (Pottwal-Skelette von Günther Behrmann sind unter anderem im Natureum Niederelbe und im Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven zu besichtigen). Von der FAO („Food and Agriculture Organization“ der UNO) wurde er zum „Experten für Wale“ ernannt. Zum Thema Wale hat er schon über 50 Publikationen herausgebracht. Behrmanns derzeitiger Arbeitsplatz ist das Zentrum für Walforschung in Bremerhaven. Bis zu seiner Pensionierung betreute er die wissenschaftliche Sammlung im Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven.
Doch nicht nur die großen Meeressäuger haben es Behrmann angetan, er kennt sich zudem sehr gut mit kleinen Tiefseefischen aus. Außerdem ist er mit der Vielfalt der Pilze vertraut. Auch wenn sich Behrmanns Büro in Bremerhaven befindet, sagte er einmal in einem Interview in der Sendung „Welt der Wunder“: „Generell kann man sagen, dass sich mein Büro nicht an einem Ort befindet, sondern auf der ganzen Welt. Unter anderem habe ich auch schon in der Karibik und im Oman geforscht.“
Herzliche Begrüßung
Ein bisschen aufgeregt bin ich schon, als wir am 12. August 2007 von unserem Urlaubsort in der Lüneburger Heide aus nach Bremerhaven fahren und nun vor der Klingel des Wal-Forschers stehen. Begleitet werde ich von meinem Mann Rüdiger und unserem Hund Chicco (der bei den Meeresakrobaten schon als Whale-Watching-Dog bekannt ist – siehe: „Chicco und die Wale“). Von Rüdiger stammen übrigens sämtliche Fotos in diesem Beitrag (siehe auch: slides-only.de). Nachdem wir dem Aufzug im sechsten Stock entstiegen sind, empfangen uns Günther und dessen Frau Gudrun sehr herzlich. Zu Fuß geht es dann noch ein Stockwerk höher bis unters Dach, wo sich Günthers „Walforschungs-Zentrum“ befindet.
„Tursiops!“
Eigentlich wollte ich Günther „auf die Probe stellen“ und ihn meine neue Errungenschaft – einen echten Delfinzahn – identifizieren lassen, doch bevor ich den Mund aufmache, bemerkt Günther im Vorbeigehen und mit einem kurzen Blick auf meinen Halsschmuck: „Tursiops“. Bingo: Der Zahn stammt tatsächlich von einem Tursiops truncatus – auch als Großer Tümmler bekannt. (Günther verrät mir anschließend, dass in den 1960er-Jahren Große Tümmler seine ersten Forschungsobjekte gewesen seien.)
Große „Beißerchen“
Damit sind wir schon beim eigentlichen Thema des heutigen Mittags. Ich frage Günther, ob man das Alter der Delfine sowie anderer Zahnwale anhand der Zahnringe exakt bestimmen kann, wie ich es schon in der Fachliteratur gelesen hatte. Günther nimmt sich Zeit und erklärt uns, dass eine genaue Altersbestimmung über die Zähne nicht möglich sei, sondern dass diese Methode höchstens eine grobe Schätzung zulasse. Zur Untermauerung seiner Theorie holt er mehrere Pottwalzähne aus seinem großen Fundus. Der Pottwal ist der größte Zahnwal, dessen „Beißerchen“ mehrere Kilogramm schwer und bis zu 25 cm lang werden können (wobei aber immer nur ein Drittel des Zahnes sichtbar ist). Auch das Exemplar, das uns Günther in die Hand gibt, hat ein nicht zu verachtendes Gewicht …
Zuwachsringe
Günther Behrmann: „In der Annahme, dass Elfenbein wie ein Baum wächst, also jährlich ein Zuwachsring entsteht, bestimmte man bisher das Alter der Pottwale, indem man die einzelnen Elfenbeinlagen der Zähne auszählte. Diese Methode hat nie allgemeine Zustimmung gefunden, denn bereits mit bloßem Auge und erst recht unter dem Mikroskop kann man deutlich erkennen, dass die Elfenbeinringe nicht gleichmäßig wachsen. Oft entstehen unvollständige Zuwachsringe von unterschiedlicher Mächtigkeit, die dann den Zahn nur teilweise ummanteln. Auf einen Zuwachsring folgt der nächste, und dies wiederholt sich – bei größeren Pottwal-Zähnen – über 80-mal. Zählt man vom Zahn-Zentrum aus in verschiedene Richtungen, kommt man bei jeder Auszählung auf einen anderen Wert. Eine weitere Erschwernis ist, dass die Dentinlagen (Zahnbeinlagen) der Zähne so dicht liegen, dass man die einzelnen Zuwachsringe kaum voneinander unterscheiden kann.“
Je mehr Nahrung, desto mehr Ringe
Laut Behrmann ist das Wachstum der Elfenbeinringe vom Nahrungsangebot abhängig. Je besser das Nahrungsangebot ist, so der Wal-Experte, desto länger wachsen die Ringe. Sie bilden sich aus unterschiedlichen vom Blut heran transportierten Mineralsubstanzen.
Um seine Hypothese zu beweisen, hat er 2001 mit Hilfe eines Scanning Electron Microscope (SEM) in den Zähnen von gestrandeten Pottwalen nach Substanzen gesucht, die nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl die gesamte nördliche Hemisphäre kontaminiert hatten. Winzige Teilchen gelangten so auch in den Nordatlantik, wo die Fressperiode der Pottwale bis in den Oktober andauert (siehe auch: Behrmann, G.: „Altersbestimmungen bei Pottwalen mit Hilfe der Zahnstrukturen“. Magazin für Zahnheilkunde 2001, 17. Jahrg. Heft 7/8: 403 – 407).
Auf diese Weise wurden die Wale in hohem Maße mit radioaktivem Material belastet. Wenn man davon ausgeht, dass das kontaminierte Material in der Zahnschicht liegt, die 1986 gebildet wurde, brauchte man nur die nachfolgenden Zahnschichten zu zählen, um eine Aussage darüber zu erhalten, ob jährlich eine Zahnschicht, mehrere Zahnschichten oder weniger als eine Zahnschicht gebildet wurde.