Das Skelett der Delfine

Günther Behrmann

Wie ich bereits in den Eingangssätzen bei der Haut der Delfine geschrieben habe, soll unter der Überschrift „Anatomie“ der Delfin-Körper von außen nach innen betrachtet werden. Nachdem im vorherigen Kapitel die „Hülle“ des Delfins das Thema war, geht es in diesem neuen Teil um die Knochen bzw. das Skelett der Meeressäuger.

Doch bevor hier näher auf den Knochenbau des Delfins eingegangen werden soll, möchte ich mich an dieser Stelle bei Günther Behrmann, dem bekannten Wal-Experten aus Bremerhaven, für seine qualifizierte Beratung und seine interessanten Informationen bedanken, ohne die viele Fragen über das Delfin-Skelett unbeantwortet geblieben wären.
(Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen sowie das unten gezeigte Röntgenbild einer Schweinswalhand stammen aus Günther Behrmanns Arbeit „Ergänzende Beiträge zur Anatomie Bezahnter Wale“ – Reihe „Lebensraum Meer“, Heft 10.)

Leichte Knochen und lange Wirbelsäulen

Delfin-Skelette sind leichter als die Skelette von Landsäugetieren vergleichbarer Größe. Dank der Tragfähigkeit des Wassers benötigen sie keine starken Extremitäten, die sie stützen. Delfine haben außerdem weniger Knochen als Landsäugetiere. Zählt man beim Landsäuger 321 Knochen, so beträgt die Knochenanzahl bei Delfinen etwa 190 (variiert von Art zu Art).

Skelett von Hund und Delfin

Der Große Tümmler hat insgesamt zwischen 64 und 66 Wirbel (im Vergleich: Ein Hund hat bis zu 50 Wirbel, der Mensch in der Regel 33.). Die Wale besitzen mit bis zu 92 Wirbel die längste Wirbelsäule unter den Säugetieren.

Ebenso wie bei allen Wirbeltieren besteht die Halswirbelsäule der Delfine aus sieben Wirbeln. Diese sind weitgehend komprimiert und an manchen Stellen zusammengewachsen, was den Hals kurz und stabil macht und eine notwendige Anpassung an schnelles Schwimmen darstellt. Allerdings schränkt dieser Bau der Wirbel die Delfine auch ein: Die meisten von ihnen können ihren Kopf kaum zur Seite und nur ein wenig auf und ab bewegen (Ausnahmen: Beluga, Narwal und Flussdelfine).

Behrmann: „Die rezenten (gegenwärtig lebenden) Wale haben keine Röhrenknochen mehr. Selbst die dicken Ober- und Unterarmknochen sind nicht mehr hohl. In den Hohlknochen der Landwirbeltiere liegt das blutbildende Knochenmark. Bei den Walen liegt das Knochenmark in den sehr dicken Wirbelkörpern der Lenden- (18 bis 24) und Schwanzwirbel (bis 36). Diese sind zwar nicht hohl, aber sehr porös.“

Delfin-Skelett

Erklärungen zum abgebildeten Zahnwal-Skelett: 1 = Schädel; 2 = Halswirbel; 3 = Brustwirbel; 4 = Lendenwirbel; 5 = Schwanzwirbel; 6 = Zungenbein; 7 = Brustbein; 8 = Rippen; 9 = Becken; 10 = Ventralbögen.

Ein dehnbarer Brustkorb

Behrmann: „Die Brustbeine der Wale sind plattenförmig und breit, wodurch sie sich von den Brustbeinen anderer Säuger unterscheiden. Große plattenförmige Brustbeine, wie sie die Barten- und Pottwale besitzen, besaßen auch die Saurier. Das größte Brustbein hat der Pottwal, doch ist dieses embryonal noch sehr schmal angelegt und ähnelt den Brustbeinen anderer Wale. Die laterale (seitliche) Verbreiterung des Brustbeines beim Pottwal muss also als eine evolutionäre Neuentwicklung angesehen werden, die das Herz beim Tauchen in großen Tiefen schützt.“ Einige Rippen im Brustkorb sind nur durch Gewebebänder an den Querfortsätzen der Wirbel befestigt und bilden somit keine starre Verbindung zum Brustbein. Dadurch sind die Rippen natürlich beweglicher. „Die Möglichkeit, die Rippen nur um 10 cm weiter spreizen zu können, bedeutet eine Zunahme des Lungenvolumens bei den großen Walen um einen Kubikmeter oder mehr.“ (Behrmann)

Pottwal

Vergrößerung des Lungenvolumens

Behrmann: „Zum Bauchraum hin wird der Brustkorb durch das Zwerchfell (Diaphragma) abgeschlossen. Es ist für die Säugetiere der wichtigste Atemmuskel. Die Mobilität des Zwerchfells ist für die Atmung noch bedeutender als die der Rippen. Bei allen Landsäugern und den Robben liegt das Zwerchfell etwa rechtwinklig zur Wirbelsäule. Bei den Walen verläuft das Zwerchfell fast waagerecht, wodurch sich dessen Fläche erheblich verlängert, und sich das Lungenvolumen noch etwas mehr vergrößern lässt.

Je tiefer das Zwerchfell in den Brustkorb hineingedrückt werden kann, desto mehr und schneller kann ausgeatmet werden. Der schnelle Austausch der Atemluft ist für die Wale von existenzieller Bedeutung. Der Aufenthalt an der Wasseroberfläche muss so kurz wie möglich gehalten werden. Erstens kann eine Beute aus dem Wahrnehmungsbereich entschwinden und zweitens sind die Wale in dieser Zeit angreifbar.

Durch die Mobilität der Rippen und die Vergrößerung des Zwerchfells vergrößert sich das Lungenvolumen bei Zahnwalen um etwa 30 %. Während die Landsäuger mit einem Atemzug höchstens 30 % austauschen können, sind es bei den Walen bis zu 90 % ihrer Atemluft mit einem Atemzug.“

Modell eines Pottwals (Copyright: Günther Behrmann, 2014)

Modell eines Pottwals
(Copyright: Günther Behrmann, 2014)

Zwischen vier und 252 Zähnen

Auffallend beim Delfin-Skelett ist der Schädel mit den ungewöhnlich langen Ober- und Unterkiefern. Vergleicht man das Gebiss von Hund und Delfin, so stellt man in diesem Bereich eine große Andersartigkeit fest. Beim Delfin sind meist alle Zähne gleichartig. Beim Hund dagegen kennen wir die Unterteilung in Schneide-, Eck-/bzw. Greif- und Backenzähne. Alle Delfine haben Zähne, doch deren Anzahl variiert stark von Art zu Art. Da gibt es beispielweise den Ostpazifischen Delfin (auch „Spinner“ genannt; Stenella longirostris). Auf seinem langen Ober- und Unterkiefer sitzen insgesamt zwischen 172 und 252 kleine, scharfe Zähne. Kein anderes Säugetier hat so viele Zähne! Das andere Extrem stellt der Risso-Delfin (auch „Rundkopfdelfin“ genannt; Grampus griseus) dar. Er hat im Oberkiefer keine und im kurzen, breiten Unterkiefer nur vier bis 14 Zähne.

Schädel eines Orcas

Die Zähne der Delfine sind konisch geformt, was eine gute Anpassung an das Leben im Wasser bedeutet. Konische Zähne eignen sich nämlich sehr gut, um nach schnell schwimmender, glitschiger Beute wie Fischen zu schnappen.

Ausnahmen bilden der Rauhzahndelfin (Steno bredanensis), der einen gefurchten Zahnschmelz (daher der Name!) hat und der Risso-Delfin, der etwas klobigere, ovale Zähne aufweist als die anderen Arten. Delfine behalten ihr Gebiss ein ganzes Leben lang (sie haben also keine Milchzähne wie andere Säugetiere). Die Zähne bilden sich bereits vor der Geburt und erscheinen, wenn das Kalb wenige Wochen alt ist.

Aus Händen wurden Flossen

Die Vordergliedmaßen des Delfins haben sich zu Flossen umgebildet. Diese bieten nur einen minimalen Wasserwiderstand. Die Flossen werden nicht nur zum Manövrieren im Wasser eingesetzt, sondern sie sind auch wichtige Tastorgane im sozialen und sexuellen Umgang mit den Artgenossen.

Röntgenbild einer Schweinswal-Hand (Zeichnung: Grobe/Behrmann)

Im Skelett der Vordergliedmaßen ist noch der typische Aufbau der Säugerhand erkennbar. Dazu schreibt Günther Behrmann: „Der Oberarm ist verhältnismäßig kurz und massiv. Die Unterarmknochen, Elle und Speiche, sind verflacht. Bei alten Tieren verwachsen Ober- und Unterarme miteinander. Die Zahl und die Länge der Fingerknochen (4 bis 12 pro Finger) variieren stark und können sogar innerhalb eines Wales unterschiedlich sein. Mehrmals nachgewiesen wurden zusätzliche Finger, die keine Verbindung zu den Handwurzelknochen hatten. Weil die Mittelhandknochen bei vielen Arten überhaupt nicht ausgebildet werden oder erst im hohen Alter vollständig verknöchern, bestehen diese bei jüngeren Tieren hauptsächlich aus Knorpeln mit einem sehr unförmigen, verknöcherten Zentrum.“

Schlüsselbein nur beim Orca

Günther Behrmann: „Embryonal werden die Schlüsselbeine bei allen Walen noch angelegt, sie wachsen aber meistens nicht weiter und bilden sich zurück. Voll ausgebildete Schlüsselbeine wurden bisher nur bei Schwertwalen (Orcas) nachgewiesen.“

Versteckte Reste der Hinterextremitäten

Becken und Oberschenkel eines Pottwals

Die Hinterextremitäten sind fast ganz verschwunden, aber tief im Unterleib, verborgen zwischen Muskeln und Speckschichten, finden sich noch Rudimente des Beckens. Laut Behrmann erlauben die Rudimente keine eindeutige Aussage, um welche Beckensegmente es sich handelt.

Günther Behrmann: „Die Beckenknochen der Wale haben keine feste Verbindung zur Wirbelsäule, sie liegen unterhalb der mächtigen Lendenmuskulatur. Die Becken der männlichen Wale sind größer als die der weiblichen Tiere. Ventral (also bauchwärts) setzen an den Beckenknochen die Penismuskulatur oder die Mutterbänder an. Diese Bereiche sind also eindeutig Schambeinrudimente. Weil immer wieder Oberschenkel mit Gelenkkopf gefunden werden, die mit dem Becken mehr oder weniger verbunden sind, müssen beim Walbecken auch Teile vom Sitzbein erhalten geblieben sein.

Oberschenkel werden häufig gefunden, andere Beinknochen sind bei rezenten Walen sehr selten. Wenn solche vorhanden sind, können sie sehr entfernt vom Becken und Oberschenkel liegen; genaue Nachsuche ist also notwendig.“

Auf dem Bild oben sieht man Becken (P) und Oberschenkel (F) eines Pottwals.

Balance-Organ und Wärmetauscher

Finne eines Orcas (Foto: Frank Blache)

Mit keiner Landsäugerstruktur verwandt ist die Rückenflosse der Delfine. Sie ist oft der einzige sichtbare Teil eines Delfins. Zu ihren Funktionen gehört zum einen die Balance, indem sie wie ein Kiel eines Segelbootes das Tier beim Schwimmen stabilisiert. Sie kann aber außerdem bei der Temperaturregulierung hilfreich sein, denn beim Schwimmen in wärmeren Gewässern oder bei intensiver Aktivität dient sie als eine Art Wärmetauscher. Die Rückenflosse des Delfins enthält keine Knochen, sondern besteht aus festem, fettem, faserigem Material. Die Oberhaut von Rücken- und Schwanzflosse ist sehr dick und wird an den vorderen Kanten durch Kalkeinlagerungen verstärkt.

Perfekte Antriebsfläche

Wie die Rückenflosse (Finne) hat auch die Schwanzflosse (Fluke) keine Knochen, sondern besteht unterhalb der Oberhaut aus einer Netzhaut, in die Fett eingelagert wird. Da sie horizontal ausgerichtet ist, bildet sie eine perfekte Tragfläche. Im Querschnitt sieht sie aus wie ein Flugzeugflügel. Schwimmt ein Delfin, bewegen massive Muskeln in der hinteren Körperhälfte die Schwanzflosse auf und ab. Die Aufwärtsbewegung bildet dabei den Kraftstoß und schafft Vortrieb, während die Abwärtsbewegung den Erholungsschlag darstellt.

Günther Behrmann mit Assistentem und Pottwal-Skelett, 2011 in Kuramathi/Malediven

Puzzlespiel mit Knochen

Eine Knochenarbeit im wahrsten Sinne des Wortes haben sich die Wal-Präparatoren – zu denen auch Günther Behrmann gehört – aufgehalst. So müssen sie aus einem Puzzlespiel mit bis über 200 Einzelteilen zum Beispiel ein 15 Meter langes Pottwal-Skelett zusammenbauen.

Im „Walhaus“ in Lübeck (Museum für Natur und Umwelt) beispielsweise ist so ein gigantisches Tier zu bewundern. Die Knochenstücke stammen von einem 1997 in der Nordsee verendeten Pottwal. Er gehörte zu einer Gruppe, die im Winter 1997 an der dänischen Insel Römö strandete.

Nachdem das durch Bakterien und Waschmittelenzyme gereinigte Gerippe in vielen, vielen Arbeitsstunden zusammengetragen und zusammengebaut wurde, kann es heute im Museum bewundert werden. (Mehr zur Präparation von Wal- und anderen Tier-Skeletten erfährst du unter Knochenjob im Skelett-Kabinett.)

Aber auch in anderen Orten – zum Beispiel in Cuxhaven – sind „Wal-Häuser“ entstanden, in denen Wal-Experten an ein Gewirr von unterschiedlichen Knochen Hand anlegten. So hatte Günther Behrmann dort für die große Frühjahrsausstellung („Wale an der Küste“), die 2004 im Natureum Niederelbe eröffnet wurde, schon vorab im Cuxhavener „Wal-Haus“ ordentlich gebohrt und geschraubt. Das 13 Meter lange Pottwal-Skelett zog nach Fertigstellung in eine eigene Halle im Natureum Niederelbe ein.

2011 war Günther Behrmann in Kuramathi auf den Malediven. Dort präparierte er ein Pottwal-Skelett, das nun in einem Museum auf der Urlaubsinsel zu bewundern ist (siehe Fotos ganz oben rechts und oben links; beide stammen von Reinhard Kikinger). Weil das Skelett aus Sicherheitsgründen komplett mit Glas umhüllt wurde, nennt Behrmann es „Schneewittchen im gläsernen Sarg“.

Nördlicher Entenwal im Natureum/Niederelbe (Foto: Ingo Voß)

Nördlicher Entenwal im Natureum/Niederelbe (Foto: Ingo Voß)

Aus dem Meer ins Museum

… so lautete der Leitartikel in der Zeitschrift „Natur & Kosmos“ (Ausgabe Februar 2003). Dort konnte man nachlesen und sich über zahlreiches Bildmaterial informieren, wie im Multimar Wattforum im schleswig-holsteinischen Tönning die „Wiedergeburt“ eines Pottwal-Riesen ermöglicht wurde. In schweißtreibender Arbeit hatten die Präparatoren Heidrun Strunk und Reenhard Kluge jeden Wirbel des Pottwals einzeln verschraubt. (Mehr dazu findest du unter www.natur.de.)

Eine hervorragende Aufstellung über Orte, in denen Wal-Skelette ausgestellt sind, findest du bei www.cetacea.de.

Virtuelles Wal-Puzzle

Wer selbst mal ein bisschen Präparator spielen möchte, kann bei www.blue-world.org ein virtuelles Wal-Puzzle zusammensetzen. Viel Spaß dabei!

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2 Kommentare

  1. hallo.
    würdet ihr mir bitte die quellen für diesen artikel nennen?

    geschrieben von M. Fischer
    1. Siehe oben – Günther Behrmann sowie meine Zulassungsarbeit über den Großen Tümmler …

      geschrieben von Susanne

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